Das Geisterhaus
und das Heim. Wenn
sie so weitermachen, werden sie eines Tages noch Abgeordnete,
Richter und sogar Präsident der Republik werden! Und
unterdessen stiften sie Verwirrung und eine Unordnung, die als
Katastrophe enden kann. Sie veröffentlichen anstößige Aufrufe,
sie sprechen im Rundfunk sie ketten sich auf öffentlichen
Plätzen an, und die Polizei muß erst einen Schmied holen, der
die Schlösser aufbricht, damit sie ins Gefängnis abgeführt
werden können, wohin sie gehören. Nur schade, daß sich immer
ein einflußreicher Ehemann, ein schlappschwänziger Richter
oder ein Parlamentarier mit aufrührerischen Ideen findet, der sie
wieder auf freien Fuß setzt. Eine harte Hand, das ist es, was es
in diesem Fall braucht!«
Der Krieg in Europa war zu Ende, die Eisenbahnwaggons voll
Toter waren ein fernes Gerücht, aber noch nicht vergessen. Von
dort kamen die subversiven Ideen über die unkontrollierbaren
Ätherwellen des Rundfunks, den Telegraphen, die Dampfer mit
den Emigranten, die auf der Flucht vor dem Hunger in ihrer
Heimat wie eine verschreckte Herde eintrafen, verstört noch
vom Dröhnen der Bomben und den in den Ackerfurchen
verfaulenden Toten. Es war das Jahr der Präsidentschaftswahlen,
und es galt, einem Umsturz vorzubauen. Eine Woge der
Unzufriedenheit, die das Volk aufwühlte, brach über das feste
Gefüge der oligarchischen Gesellschaft herein. Auf dem Land
gab es Plagen aller Art: Dürre, Schnecken, Maul- und
Klauenseuche. Im Norden kam es zu Massenentlassungen, und
die Hauptstadt bekam die Auswirkungen des fernen Krieges zu
spüren. Es war ein Jahr der Not, und es fehlte nur noch ein
Erdbeben, um das Unglück vollzumachen.
Die Oberschicht jedoch, im Besitz der Macht und des
Reichtums, wurde sich der Gefahr, die das schwache
Gleichgewicht ihrer Position bedrohte, nicht bewußt. Die
Reichen amüsierten sich: sie tanzten Charleston und Foxtrott,
die neuen Rhythmen des Jazz und ein paar herrlich unanständige
Negertänze. Man nahm die Schiffsreisen nach Europa wieder
auf, die während der vier Kriegsjahre ausgefallen waren, und
Reisen nach Nordamerika wurden Mode. Als letzter Schrei kam
das Golf, zu dem sich die beste Gesellschaft traf, um eine kleine
Kugel mit dem Stock zu schlagen, wie es vor Jahrhunderten die
Indios an den gleichen Stellen getan hatten. Die Damen hängten
sich knielange Ketten aus falschen Perlen um und trugen Hüte
wie Nachttöpfe, bis an die Augen in die Stirn gezogen, sie
schnitten sich das Haar wie die Männer und schminkten sich wie
Freudenmädchen, sie hatten die Korsetts ausgezogen, saßen mit
übereinandergeschlagenen Beinen und rauchten. Die Herren
waren geblendet von der Erfindung der nordamerikanischen
Automobile, die frühmorgens in Chile eintrafen und am Abend
bereits verkauft waren, obwohl sie ein kleines Vermögen
kosteten und nichts als knatternde Rauchwolken und lose
Schraubenmuttern waren, wenn sie in selbstmörderischer
Geschwindigkeit über die Straßen brausten, die für Pferde und
andere natürliche Bestien angelegt worden waren, jedenfalls
nicht für phantastische Maschinen. An den Spieltischen wurden
die leicht verdienten Erbschaften und Vermögen aus der
Nachkriegszeit verspielt, die Champagnerpfropfen knallten, und
für die Raffiniertesten und Lasterhaftesten kam als letzte
Neuheit das Kokain. Auf dem Land waren die neuen
Automobile eine ebenso ferne Wirklichkeit wie die kurzen
Röcke. Wer von der Raupenplage und der Maul- und
Klauenseuche verschont geblieben war, fand das Jahr gut.
Esteban Trueba und andere Grundbesitzer der Gegend trafen
sich im Volksclub, um vor den Wahlen ihre politischen
Aktionen zu planen. Die Bauern lebten noch wie in
Kolonialzeiten, sie hatten von Gewerkschaften freien Sonntagen
oder Mindestlöhnen noch nichts gehört, aber schon sickerten die
ersten Abgesandten der neuen Linksparteien in die Güter ein, als
Missionare verkleidet, unter einem Arm die Bibel, unter dem
ändern ihre marxistischen Pamphlete, und predigten gleichzeitig
christliche Enthaltsamkeit und Tod durch die Revolution. Die
Gesprächsrunden der Gutsherren am Mittagstisch endeten mit
gewaltigen Besäufnissen und Hahnenkämpfen, und nachts fielen
sie in den Farolito Rojo ein, wo zwölfjährige Prostituierte und
Carmelo, der einzige Schwule im Bordell und im ganzen Dorf,
nach den Klängen eines vorsintflutlichen Grammophons tanzten,
kontrolliert von den wachsamen Blicken Sofias, die zwar selbst
das Gehopse nicht mehr
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