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Das Geisterhaus

Das Geisterhaus

Titel: Das Geisterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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aus Erzählungen kannte. Bei einem
Kind in Biancas Alter ist die Neugier noch stärker aus geprägt
als der Überlebenstrieb, so daß Férula ständig hinter dem Kind
her war, damit es nicht aus dem zweiten Stock sprang oder in
die Backröhre kroch oder die Seife verschluckte. Sie hielt es für
gefährlich und strapaziös, mit dem Kind aufs Land zu gehen,
und überdies für nutzlos, da Esteban allein auf den Drei Marien
zurechtkommen konnte, während die Frauen in der Hauptstadt
das zivilisierte Leben genossen. Aber Clara war begeistert. Sie
fand das Landleben romantisch, weil sie nie einen Stall von
innen gesehen hatte, wie Férula sagte. Über zwei Wochen war
die Familie mit den Reisevorbereitungen beschäftigt, das Haus
füllte sich mit Truhen, Reisekörben, Koffern. Ein Sonderwagen
im Zug wurde gemietet, damit man reisen konnte mit all dem
unglaublich vielen Gepäck, den zwei von Férula als unerläßlich
erachteten Dienstboten, den Käfigen mit den Vögeln, die Clara
nicht allein lassen wollte, den Schachteln mit den Spielsachen
von Bianca, mechanischen Hampelmännern, Tonfigürchen,
Stofftieren und Puppen mit echtem Haar und beweglichen
Gliedern, die ihrerseits mit ihren Kleidern, Wagen und
Eßgeschirren reisten. Als Esteban diese ratlose und aufgeregte
Menschenmenge und diesen Berg von Gepäckstücken sah,
fühlte er sich zum erstenmal in seinem Leben geschlagen,
besonders, als er unter dem Gepäck einen lebensgroßen heiligen
Antonius mit Schielaugen und Sandalen aus gepunztem Leder
entdeckte. Angesichts des Chaos bereute er seinen Entschluß,
seine Frau und sein Kind aufs Land mitzunehmen, und fragte
sich, wie es möglich war, daß er mit zwei Koffern rund um die
Welt reisen konnte, die Frauen hingegen diese Riesenfracht an
Gepäckstücken und diesen Hofstaat von Dienstboten brauchten,
die mit dem Zweck der Reise nicht das mindeste zu tun hatten.
    In San Lucas mieteten sie drei Wagen, und so kamen sie auf
den Drei Marien an, in eine Staubwolke gehüllt, wie die
Zigeuner. Im Gutshof hatten sich alle Hintersassen zu ihrer
Begrüßung versammelt, an ihrer Spitze Pedro Segundo García,
der Verwalter. Sie waren sprachlos, als sie diesen Wanderzirkus
erblickten. Unter Férulas Befehlen begannen sie die Wagen
abzuladen und die Sachen ins Haus zu bringen. Niemand
beachtete den kleinen Jungen, der ungefähr in Biancas Alter
war, nackt und rotznäsig, mit einem von Parasiten aufgeblähten
Bauch und schönen schwarzen Augen, die weise blickten wie
die eines alten Mannes. Es war der Sohn des Verwalters und
hieß, damit man seinen Namen von dem seines Vaters und
Großvaters unterscheiden konnte, Pedro Tercero García.
    Während alle vollauf damit beschäftigt waren, sich zu
installieren, das Haus zu besichtigen, in den Obstgarten
hineinzuriechen, jedermann zu begrüßen, dem heiligen Antonius
seinen Altar aufzubauen und die Hühner aus den Betten und die
Mäuse aus den Kleiderschränken zu scheuchen, zog sich Bianca
die Kleider aus und sprang nackt mit Pedro Tercero herum. Sie
spielten zwischen dem Gepäck, krochen unter die Möbel, gaben
sich speichelnasse Küsse, kauten dasselbe Brot, schluckten
denselben Rotz und beschmierten sich mit derselben Kacke, bis
sie schließlich unter dem Eßtisch einschliefen. Dort fand sie
Clara um zehn Uhr nachts. Stundenlang hatte man mit Fackeln
nach ihnen gesucht, waren die Hintersassen in kleinen Trupps
die Flußufer, die Kornspeicher, die Weiden und die Ställe
abgegangen, hatte Férula auf Knien zum heiligen Antonius
gebetet, Esteban bis zur Erschöpfung ihre Namen gerufen und
Clara umsonst ihre hellseherischen Kräfte aufgeboten. Als sie
die beiden fanden, lag der Junge ausgestreckt auf dem Boden,
und Bianca, eng an ihn geschmiegt, hatte den Kopf auf den
Bauch ihres neuen Freundes gelegt. In derselben Stellung
wurden sie Jahre später zu beider Unglück überrascht, und ihr
Leben reichte nicht aus, es zu büßen.
    Vom ersten Tag an begriff Clara, daß es auf den Drei Marien
einen Platz für sie gab. In ihre Lebensnotizhefte schrieb sie, sie
habe das Gefühl, endlich eine Aufgabe in dieser Welt gefunden
zu haben. Die Ziegelhäuser, die Schule, das reichliche Essen
beeindruckten sie nicht, weil ihre Fähigkeit, das Unsichtbare zu
sehen, ihr rasch das Mißtrauen, die Furcht und den Groll der
Landarbeiter entdeckte und sie aus dem Gewisper, das
verstummte, sobald sie den Kopf drehte, einiges über den
Charakter und die Vergangenheit

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