Das gelbe Hurentuch: Hannerl ermittelt (Historischer Roman) (German Edition)
ließ, die sie schon wenige Augenblicke danach zutiefst bedauerte. Sie konnte sich noch entsinnen, dass sie mit der Stickerei und den Briefen in die Küche gekommen war, dann kam eine alte Bekannte dazu: Die Wut, die ein Loch in ihre Erinnerung brannte, ein großes schwarzes Loch. Kurzerhand blieb sie stehen und sah sich um. Wie war sie nur hier in die Rauhensteingasse gekommen? Vor lauter Schimpfen und Heulen war sie nicht nach dem Göttweiger Hof rechts abgebogen, sondern vorher. Jetzt musste sie einen Umweg gehen. »Dass das aber auch immer passiert, wenn ich sowieso in Eile bin und mir schon vor Müdigkeit alles wehtut«, jammerte sie halblaut und sprang schnell zur Seite, weil ein ganzer Trupp Menschen aus dem nahegelegenen Haus des Scharfrichters eifrig gestikulierend herausgelaufen kam.
»Ja, er ist noch in der Schranne«, hörte sie einen Mann mittleren Alters sagen und klopfte sich den Schmutz von ihrem Umhang, um möglichst unauffällig zu wirken.
»Er wartet, weil der Frühauf ihn noch braucht«, sagte derselbe Mann. Der Frühauf, das ist ja der Stadtrichter, dachte Johanna erstaunt.
»Soll ja nicht irgendeine von den Betschwestern treffen, sondern die richtige!«, kam es wieder von den Männern.
Johanna spitzte die Ohren, zum einen, weil sie hinter den Sprechenden niemand geringeren als den Scharfrichter Ignaz Mitterlehner persönlich aus seiner Wohnung treten sah, und zum anderen kannte sie zwei von ihnen. Sie arbeiteten beide als Gerichtsschergen in der Schranne.
»Ist der Frühauf schon unterwegs?«, fragte der Henker die beiden.
»Ja, er und der Herr kommen uns vom Hohen Markt her entgegen!«
Beruhigt nickte dieser und ging mit weit ausholenden Schritten an Johanna, die sich in eine Hauseinfahrt gedrückt hatte, vorbei.
»Na, dann auf in die Singerstraße, bevor das Vögelchen uns davonfliegt«, konnte sie ihn gerade noch vernehmen, dann verschwand er in dem Durchgang zu einer schmalen, mit Unrat übersäten Gasse, die geradewegs auf den Platz um Sankt Hieronymus führte.
Seltsam, dachte Johanna und schickte sich ebenfalls an, zu den Büßerinnen zurückzukehren. Einer der Knechte blieb etwas hinter dem Henker zurück, und Johanna erkannte in ihm jenen Burschen, der ihr immer wieder mit dem Aufbau ihres Verkaufsstandes am Graben half. »Du Sepp«, rief sie ihm frech nach, »was ist denn passiert?« Der Angesprochene drehte sich kurz um, machte eine abwertende Geste mit der Hand und meinte: »Nichts weiter, Hannerl. A Büßerin hat’s halt net lassen können, und jetzt schnappen wir sie wegen Wiederbetätigung!«
Die Welt um Johanna begann sich zu drehen. Schwankend erreichte sie den schmalen Weg, den die Wiener gemeinhin als ›Armesündergassl‹ bezeichneten, weil hier die Verurteilten vom Strafhaus aus der Rauhensteingasse zum Richtplatz geführt wurden.
»Was in Christi Namen«, murmelte sie und hielt sich die kalte Hand an die heiße Stirn, »nein, das glaub ich nicht.« Es konnte doch nicht sein, dass Katharina nun doch nicht Wort gehalten hatte und Johannas Verfehlung, mit dem gelben Hurentuch beim Scharlachrennen mitzulaufen, den Weg in die Schranne zum Stadtrichter gefunden hatte! So leichtgläubig war sie gewesen, so sicher hatte sie dem Schutz Susannas, der Meisterin und dann dem von Katharina, der Äbtissin, vertraut! Johanna war schon zu lang auf der Welt, um nicht zu wissen, was nun geschehen würde. Die Gerichtsschergen würden sie festnehmen, zur Schranne führen und im Narrenköttl, einem großen hölzernen Käfig, zur Schau stellen. Nach der Urteilsverkündung am Balkon des Gerichtsgebäudes würde man sie zum Donauarm, zur Taborbrücke, führen. Dort würde sie unter allgemeinem Gelächter entkleidet und gefesselt werden, bevor man sie in einen Sack steckte. Mit langen Stangen würde man dieses Bündel so lang unter Wasser drücken, bis es am Grund liegen blieb. Johanna rutschte mit dem Rücken die Hauswand hinunter, bis sie am kalten Boden zu sitzen kam. Zusammengekauert verbarg sie ihr Gesicht in beiden Händen. Was sollte sie nun machen? Wer würde sich um die verletzte Yrmel kümmern, wer die Jungfer Gretlin vor dem Rausschmiss aus dem Kloster bewahren, wenn sie selbst verurteilt wurde? Tränen traten in ihre Augen, als sie an Barthel dachte. Was sollte der alte Depp denn ohne sie machen? Warum nur hatte sie sich hinreißen lassen, dieses vermaledeite gelbe Tüchel zu nehmen? Das hatte ihr doch noch nie Glück gebracht. Sie hätte es wissen müssen. Was kümmerte die
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