Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
Blume, die du gegessen hast, stimmt’s?«
»Ich sagte, hör auf!«
Er legte seine Hand unten an ihren Rücken und zog sie an sich, bis ihre Körper sich berührten. Er warf ihre Zigarette über den Balkon und hielt ihr dann seine eigene an die Lippen, um ihr so zu verstehen zu geben, dass sie von nun an jeden Atemzug miteinander teilen würden.
Ganz nah waren sich ihre Gesichter. Sie blickte auf, in seine Augen. »Du weißt gar nichts über mich«, sagte sie. »Jetzt, wo meine Mutter – wo meine Mutter nicht mehr da ist, weiß nur noch eine Person, wer ich wirklich bin. Und das bist nicht du.«
»Die Sache mit deinem Mann tut mir leid. Was ihm zugestoßen ist, was ich getan habe – ich hatte keine Wahl, das weißt du.«
»Ich bitte dich«, sagte sie. »Von ihm spreche ich nicht. Er kannte sich selbst nicht, von mir ganz zu schweigen.«
Ga legte eine Hand an ihre Wange und blickte ihr fest in die Augen. »Wer dann?«
Ein schwarzer Mercedes fuhr vor und parkte neben dem Haus. Sun Moon warf einen Blick zum Fahrer hinüber; der stieg aus und hielt ihr die Tür auf. Er war nicht mehr bandagiert, doch der Knick in seiner Nase würde ihm bleiben.
»Unser echtes Problem ist da«, verkündete sie. »Der Mann, der mich wirklich kennt, will mich wiederhaben.«
Sie ging ins Haus und holte das Janggi -Brett.
»Sag den Kindern nichts«, trug sie Ga auf, und dann sah erzu, wie sie mit unbewegtem Gesicht in den Wagen stieg, als sei sie schon viele Male so abgeholt worden. Langsam setzte der Fahrer zurück, und als die Reifen vom Rasen auf den Kies wechselten und Ga das Knirschen hörte, wusste er, dass ihm das Wertvollste genommen worden war.
Der Waisenhausaufseher hatte ihm die Finger aufgebogen und das Essen weggenommen, das er schon in der Hand hatte. Und mit jedem Jungen aus Frohe Zukunft, der starb, wurde ihm ein wenig mehr von der Vorstellung geraubt, dass der Tod etwas war, wogegen man sich wehren konnte – er ließ sich nicht ignorieren wie der Nebenmann auf dem Donnerbalken oder der nervtötende Bengel im Stockbett über einem, der im Schlaf pfiff. Anfangs hatten ihn die Tunnel panisch gemacht, doch nach einer Weile hatten sie seine Angst immer weiter schrumpfen lassen, bis sie plötzlich ganz verschwunden war, und mit ihr sein Selbsterhaltungstrieb. Die Entführungen hatten das Ganze dann auf die simple Frage von Leben oder Tod reduziert, und die Bergwerksschächte im Straflager 33 hatten ihm die Fähigkeit genommen, zwischen beiden zu unterscheiden. Noch mehr hatte ihm höchstens seine Mutter genommen, als sie ihn in Frohe Zukunft zurückließ.
Aber hatte ihn irgendetwas davon auf das hier vorbereitet? Darauf, dass der Geliebte Führer nur an einem Fädchen zu zupfen brauchte, und schon war er komplett aufgelöst? Wenn er will, dass du mehr verlierst, gibt er dir mehr zu verlieren. Das hatte Sun Moon über den Geliebten Führer gesagt. Wie recht sie gehabt hatte. In welchen Bunker würde man sie bringen? Welche amüsanten Geschichten würde sie dort ertragen müssen? Welches Getränk würden sie nippen, während der Geliebte Führer sich innerlich auf ein gewichtigeres Amüsement vorbereitete?
Plötzlich bemerkte Ga die Kinder neben sich. Barfuß standen sie im feuchten Gras, den Hund zwischen sich, dem sie ein Cape um den Hals gebunden hatten.
»Wo ist sie hingefahren?«, fragte der Junge.
Ga wandte sich ihnen zu.
»Ist eure Mutter schon einmal nachts von einem Wagen abgeholt worden?«, fragte er.
Das Mädchen stierte geradeaus auf die dunkle Straße.
Er hockte sich hin, sodass sie auf Augenhöhe waren.
»Es ist an der Zeit, dass ich euch eine ernste Geschichte erzähle«, sagte er.
Er drehte die Kinder um zu ihrem erleuchteten Heim.
»Ab ins Bett mit euch beiden. Ich bin in ein paar Minuten da.«
Dann ging er auf Bucs Haus zu. Er brauchte erst ein paar Antworten.
*
Kommandant Ga ging durch die Seitentür hinein. In Bucs Küche riss er ein Zündholz an. Der Hacktisch war sauber, die Waschschüssel leer und für die Nacht umgedreht. Ein leichter Geruch nach fermentierten Bohnen hing noch in der Luft. Er ging ins Esszimmer, das ihm besonders düster erschien. Mit dem Daumennagel riss er ein weiteres Zündholz an und erblickte alte Möbel, Porträts an der Wand, Militärandenken und das Familiengeschirr, antike Seladon-Keramik – lauter Dinge, die er nicht bemerkt hatte, als sie alle um den Tisch gesessen und die Glasschälchen mit Pfirsichen herumgereicht hatten. In Sun Moons Haus gab es solche
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