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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Johnson
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hatte einfach noch keine Gelegenheit dazu.«
    »Jetzt kommt deine große Chance«, sagte Genosse Buc. »Dr. Song hat eine Sopranos -DVD bestellt.«
    »Aber ich kann keine DVD Abspielen«, wandte Jun Do ein.
    »Du findest schon eine Möglichkeit«, sagte Genosse Buc.
    »Wie wär’s mit einem Film von Sun Moon?«
    »Unsere Filme kann man nicht in Amerika kaufen.«
    »Ist sie wirklich so traurig?«
    »Sun Moon?« Genosse Buc nickte. »Ihr Mann, Kommandant Ga, und der Geliebte Führer sind Rivalen. Kommandant Ga ist so berühmt, dass ihm selbst keiner was anhaben kann, also bekommt stattdessen jetzt seine Frau keine Filmrollen mehr. Wir hören sie im Nachbarhaus. Sie spielt den ganzen Tag die Gayageum und bringt ihren Kindern dieselben traurigen Töne bei.«
    Jun Do sah vor sich, wie ihre Finger die Saiten der koreanischen Zither anschlugen, hörte, wie die schwebenden Töne einzeln erklangen, aufleuchteten und dann verloschen wie ein Streichholz.
    »Letzte Chance, einen amerikanischen Film bei mir zu bestellen«, sagte Genosse Buc. »Sie sind der einzige Grund, warum man Englisch lernen sollte.«
    Jun Do versuchte zu erraten, was hinter diesem Angebot stecken mochte. Genosse Buc sah ihn mit einem Blick an, den er nur zu gut aus seiner Kindheit kannte: dem Blick eines Jungen, der überzeugt war, dass der nächste Tag besser werden würde. Diese Jungen hielten nie lange durch. Trotzdem hatte Jun Do sie immer am meisten gemocht.
    »Na gut«, sagte er. »Welcher Film ist der beste?«
    » Casablanca «, antwortete Genosse Buc. »Das ist angeblich der beste Film aller Zeiten.«
    » Casablanca «, sagte Jun Do. »Gut, den nehme ich.«
    *
    Als sie auf der Dyess Air Force Base südlich von Abilene, Texas, landeten, war es Morgen.
    Hier, auf der anderen Seite der Weltkugel, kam es Jun Do zugute, dass er eine Nachteule war. Hellwach blickte er aus den gelblichen Fenstern der Iljuschin und beobachtete, wie zwei Oldtimer über das Rollfeld auf sie zufuhren. Drei Amerikaner stiegen aus, zwei Männer und eine Frau. Als die Triebwerke der Iljuschin abgeschaltet waren, wurde eine Metalltreppe ans Flugzeug geschoben.
    »Wir sehen uns in vierundzwanzig Stunden«, sagte Dr. Song zum Abschied zu Genosse Buc.
    Genosse Buc deutete eine Verbeugung an und öffnete die Tür.
    Die Luft war trocken. Sie roch nach heißem Metall und vertrockneten Maispflanzen. In der hitzeschimmernden Ferne parkte ein ganzes Geschwader von Kampfflugzeugen – so etwas hatte Jun Do bisher nur auf sozialistischen Wandgemälden gesehen.
    Ihre drei Gastgeber erwarteten sie unten an der Treppe. In der Mitte stand der Senator; er schien älter als Dr. Song zu sein, war aber groß und braungebrannt, in Jeans und einem bestickten Hemd. Jun Do sah, dass ein medizinisches Gerät in das Ohr des Senators eingepasst war. Der Senator musste mindestens zehn Jahre älter sein als Dr. Song, der selbst vermutlich um die sechzig war.
    Tommy, ein Afroamerikaner, war ein Freund des Senators, in ähnlichem Alter, nur drahtiger, mit schlohweißen Haaren und einem stark zerfurchten Gesicht. Dritte im Bunde war die rundliche Wanda. Sie war jung und untersetzt; aus ihrer Schirmmütze mit der Aufschrift »Blackwater« ragte ein gelber Pferdeschwanz. Wanda trug ein rotes Westernhemd mit silbernen Druckknöpfen.
    »Herr Minister«, sagte der Senator.
    »Herr Senator«, sagte der Minister, und alle begrüßten einander.
    »Kommen Sie bitte«, sagte der Senator. »Wir haben einen kleinen Ausflug geplant.«
    Der Senator führte den Minister zu einem alten amerikanischen Auto. Als der Minister die Fahrertür öffnen wollte, dirigierte der Senator ihn freundlich zur anderen Seite.
    Tommy zeigte auf ein weißes Cabriolet, auf dem in Chrombuchstaben »Mustang« stand.
    »Ich muss beim Minister mitfahren«, sagte Dr. Song.
    »Aber das ist ein Thunderbird«, hielt Wanda dagegen. »Da passen nur zwei rein.«
    »Aber sie können sich nicht miteinander verständigen«, wandte Dr. Song ein.
    Tommy witzelte: »Halb Texas kann sich nicht miteinander verständigen.«
    Der mit offenem Verdeck fahrende Mustang folgte dem Thunderbird auf eine Landstraße. Jun Do saß mit Dr. Song auf dem Rücksitz. Tommy fuhr.
    Wanda drehte den Kopf nach rechts und nach links und ließ sich den Wind genüsslich ins Gesicht wehen. Weit hinter und weit vor ihnen konnte Jun Do schwarze Limousinen mit Securities ausmachen. Am Straßenrand blitzten Glasscherben. Warum wurden in diesem Land rasiermesserscharfeScherben ausgestreut?

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