Das geraubte Paradies
für euch tun? Ich spreche nicht mal Albionisch, und ich habe nicht die geringste Ahnung von all den technischen Wunderwerken, über die die Erdenwacht gebietet. Ich bin bloß ein Mädchen aus einer einfachen Familie.«
Ferrer, der gerade einen Schluck aus seiner Flasche genommen hatte, sah aus, als wolle er sein Getränk ausspucken. Er schluckte hart, brach dann in Gelächter aus und deutete mit dem Zeigefinger auf Carya. »Das ist gut. Du bist wirklich bescheiden.«
»Carya …
Aurelie Eins
… wir wissen, wer du bist. Ziyi kennt deine Spezifikationen.«
»Ach ja?« Unsicher blickte Carya sie an. »Und wie lauten die genau?«
»Du wurdest als perfekte Attentäterin erschaffen. Herausragende Reflexe, außergewöhnliche Körperbeherrschung, enorm scharfe Sinne. Und das ist noch nicht alles. Die Proto-Invitro-Reihe, der du angehörst, umfasste weniger als ein Dutzend Einzelmodelle. Ihr seid nicht nur die gentechnische Spitze des Machbaren, sondern bei eurer Erschaffung kamen zusätzlich experimentelle Prozeduren zum Einsatz, die keinem von uns gewöhnlichen Invitros zuteilwurden. Dein Immunsystem wurde verstärkt, deine Zellregeneration beschleunigt. Du wurdest mit zahlreichen Fähigkeiten programmiert, die du praktisch intuitiv abrufen kannst, sollte es nötig sein. Außerdem wurde dir eine Art adaptive Persönlichkeit verliehen. Du lernst schnell und kannst dich gut in neue Umgebungen einfinden. Außerdem …«
»Hör auf!«, unterbrach sie Carya. Ihr Herzschlag hatte sich beschleunigt, und sie spürte, dass ihre Hände zitterten.
Proto-Invitro. Experimentelle Prozeduren. Adaptive Persönlichkeit.
»Ich verstehe nur die Hälfte von dem, was du sagst. Worauf willst du hinaus? Was hat das alles zu bedeuten?«
Emm hielt inne, und ein Hauch von schuldbewusstem Erkennen hielt auf ihrer Miene Einzug. »Verzeih, ich wollte dich nicht überfahren. Was ich damit sagen wollte, ist Folgendes: Unsere Gruppe besteht fast ausschließlich aus Wissenschaftlern und Invitros, die für die Arbeit am Fließband oder als Kindermädchen gezüchtet wurden. Wir haben kluge Köpfe in unseren Reihen und geschickte Techniker wie Ferrer. Aber uns fehlt jemand, der einen Kommandoauftrag durchführen kann, der eine perfekt geschmiedete Waffe ist, die absolut zielgerichtet, ohne Furcht und ohne Zögern vorgehen kann. Jemand wie du.«
Beinahe hätte Carya angefangen, hysterisch zu lachen. Der Drang dazu wurde in ihrem Inneren regelrecht übermächtig. »Ihr habt keine Ahnung, wer ich wirklich bin«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich bin keine
perfekt geschmiedete Waffe ohne Furcht und Zögern
. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt liegen. Natürlich habe ich Angst. Und ich zweifle ständig an mir. Ich verspüre Schmerz und Trauer, und ich liebe und mache dumme Dinge deswegen.«
»Aber es stimmt schon, dass du ein paar ziemlich irre Tricks draufhast«, mischte sich Pitlit unvermittelt ein. »Denk nur an die Aktion im Mutantendorf, als du die Frau gerettet hast. Oder an den Bogenschuss vom Dach des Ruderhauses auf Dennings Kahn, als du die Fregatte in die Luft gejagt hast, obwohl es dunkel war und ziemlicher Seegang herrschte.«
»Zugegeben, es gibt Momente, in denen etwas von mir Besitz ergreift und mich verrückte Dinge machen lässt, über die ich bei klarem Verstand nicht einmal nachdenken würde.«
»Es handelt sich dabei um deine unterbewusst angelegte Programmierung. Die Erdenwacht hat deine Fähigkeiten versteckt, damit sie nur zutage treten, wenn ihre Agenten es wünschen. Auf dein ganzes Potenzial kannst du tatsächlich nicht zuverlässig zugreifen. Aber wenn du bereit bist, uns zu helfen und für eine gerechte Sache zu kämpfen, können wir etwas dagegen unternehmen. Wir können dir Zugriff auf deine Gaben ermöglichen.«
Ungläubig starrte Carya sie an. »Wie soll das funktionieren?«
»Mach heute Abend, wenn es dunkel geworden ist, einen Spaziergang, der dich zum anderen Ende der Wiesen hinter eurem Haus führt. Such dir eine Stelle, wo du dir vorstellen könntest, ein paar einsame, nachdenkliche Nachtstunden zu verbringen. Dort holen wir dich ab. Ferrer wird die Signalbox an dem Ort platzieren, und danach bringen wir dich in ein Labor, in dem wir den Vorgang durchführen können.«
Unsicher blickte Carya von einem zum anderen. »Also, ich weiß nicht. Ist das auch garantiert ungefährlich? So nützlich meine Gaben manchmal sein mögen, ich möchte nach dieser Prozedur immer noch die sein, die ich
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