Das Geschenk der Sterne
zusammengeführt, woran man sieht, daß selbst der übelste Tyrann mit den schlechtesten Absichten Gutes bewirken kann.«
»Wie weit traust du Min Teng? Immerhin war er heute mittag noch ein Soldat in den Diensten Fürst Yans.«
»Ich traue ihm ganz und gar. Min Teng war eine von ihrem Weg abgekommene Seele. In seinem Innersten war er nie ein Soldat. Er befand sich auf einem gefährlichen Irrweg, der ihn ins Unheil hätte stürzen können, doch als es darauf ankam, hat die Güte seines Herzens die Oberhand über die Verwirrung seines Geistes gewonnen.«
»Wobei du ihn sicherlich unterstützt hast!«
»Nur ein wenig. Ich habe die Saat des Tao ausgeworfen, wie ich es schon bei vielen Menschen getan habe. Doch selten ist sie so schnell aufgegangen wie bei Min Teng, und das ist sein eigenes Verdienst. Die beste Saat kann sich nicht entfalten, wenn sie auf unfruchtbaren Boden fällt. Und wie ist es dir ergangen, Kun Liang?«
»Ich habe mehr denn je gearbeitet und deshalb nicht die Zeit gefunden, dich zu besuchen. Die Stadt ist in den letzten Jahren so schnell gewachsen, daß man ihr förmlich dabei zusehen konnte, und mit der Einwohnerzahl wuchs die Zahl der Kranken. Oft bin ich von morgens bis abends damit beschäftigt, mein Heilwissen zum Wohl der hiesigen Menschen anzuwenden. Du weißt, ich helfe gern, aber an manchen Tagen fühle ich mich überfordert, finde weder äußere noch innere Ruhe und trinke abends öfter einen starken Kräutertee, um die Schlaflosigkeit zu
überlisten. Meine größte Freude der letzten Jahre waren die Zeiten, die ich mit Yu Lin verbracht habe. Sie hat mein Wissen um die Krankheiten des Körpers und die vielfältigen Heilwirkungen der Pflanzen, Wurzeln und Rinden so mühelos und spielerisch aufgenommen, als gäbe es nichts Leichteres auf der Welt als die Heilkunde. Sie wird vielen kranken Menschen helfen in ihrem zukünftigen Leben.«
»Sie ist eine außergewöhnliche junge Frau, die in Einklang mit sich selbst lebt«, sagte Tschuang Tse. »Darin unterscheidet sie sich von den Menschen der Masse, die Meeresfischen gleichen, welche eine große Welle an den Strand gespült hat. Sie zappeln verwirrt im Sand und spüren oder ahnen, daß etwas nicht stimmt, aber sie wissen nicht mehr, wo das Wasser ist, aus dem sie stammen.«
»Im Gegensatz zu den Fischen sterben sie aber nicht.«
»Körperlich sterben sie nicht«, entgegnete Tschuang Tse, »doch ihr Geist geht zugrunde und ihre Seelen werden verschüttet, was einem inneren Sterben gleichkommt. Um die Empfindung oder Ahnung ihres trostlosen Zustandes zu verdrängen, stürzen sie sich in maßlos übertriebene Arbeit, rennen dem Geld hinterher, häufen Besitztümer an und versuchen, ihre innere Verarmung hinter äußerem Wohlstand vor sich selbst zu verbergen. Warum, glaubst du, haben das Handwerk und der Handel in den letzten Jahren einen so großen, schnellen Aufschwung erlebt? Weil das Streben und Sinnen der Menschen, die den Zugang zu ihrer Innenwelt
verloren haben, sich immer mehr auf die Außenwelt richtet.«
Tschuang Tse verzog den Mund, als hätte er in eine verdorbene Frucht gebissen. »Ich habe die Menschen auf der Uferstraße dabei beobachtet, wie sie in ihren Geschäften aufgingen und nicht merkten, wie grob, wie laut und empfindungslos sie mit sich und miteinander umgingen. Wie schnell, wie eilig und aufgeregt ihre Worte und Bewegungen waren, als könnten sie sich keinen Moment der Muße erlauben! Wie ernst und von mißtrauischer Aufmerksamkeit geprägt ihre Gesichter waren, als wären sie ständig auf der Hut voreinander! Sie feilschten so leidenschaftlich und hartnäckig, als ginge es nicht um Lebensmittel, sondern um ihr Leben. Wenn die Leidenschaft der Menschen dem Einnehmen oder Sparen von Geld gilt, machen sie einen ebenso trostlosen wie lächerlichen Eindruck. Zwei Männer gerieten beim Feilschen um einen kleinen Sack Reis in einen großen Streit und verloren dabei mehr und mehr die Beherrschung. Sie beschimpften einander und wirkten, als würden sie am liebsten mit Händen und Füßen aufeinander losgehen. Ich habe auf dem Weg zu deinem Haus Hunderte von Menschen gesehen, aber keinen einzigen, der inneren Frieden ausstrahlte. Wären sie Menschen des Tao, würden sie sich vor solcher heillosen Geschäftigkeit hüten. Geschäftigkeit führt zu Überlastung; Überlastung bewirkt Unruhe; Unruhe zieht Sorgen nach sich, und mit Sorgen ist man rettungslos verloren.«
Kun Liang seufzte. »Ja, die Menschen haben es in
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