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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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versammelte.
    Thanksgiving war immer ein fröhliches, lebhaftes Fest in Russian Hill gewesen. Oft war Celestes Mutter dabei gewesen, und wenn Praktikanten oder Kollegen aus anderen Städten in Grace’ Krankenhaus tätig waren, die nicht die Möglichkeit hatten, Thanksgiving bei ihren Familien zu verbringen, hatte sie sie ebenfalls eingeladen. Phil schrieb jedes Jahr zu diesem Anlass ein neues Gedicht, und einer seiner älteren Studenten, ein exzentrisches Genie, das in einem heruntergekommenen Haus in Haight-Ashbury wohnte, kam oft ungefragt vorbei und blieb so lange, bis jemand ihm entschieden widersprach, wenn er seine Verschwörungstheorien von sich gab und behauptete, ein Geheimbund der Reichen und Mächtigen zerstöre die Grundfesten der Gesellschaft. Sobald dieser Punkt erreicht war, stürmte er empört aus dem Haus.
    Wie auch immer – Reuben würde dieses Jahr nicht dabei sein.
    Irgendwann begleitete er Jim zu seinem Wagen.
    Der Wind hatte von See her aufgefrischt, und schon um sechs war es dunkel. Jim fror und hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Er versprach, Reuben bei der Familie zu entschuldigen und zu sagen, er brauche etwas Zeit für sich, aber er bat Reuben, mit ihm in Kontakt zu bleiben.
    In dem Moment kam Galton mit seinem auf Hochglanz polierten neuen Truck angefahren, sprang aus dem Wagen und verkündete ganz aufgekratzt, die Berglöwin, die seinen Hund getötet hatte, sei «erwischt» worden.
    Höflich, wie es seine Art war, bekundete Jim Interesse an Galtons Geschichte. Galton klappte seinen Jackenkragen gegen den Wind hoch und erzählte in aller Ausführlichkeit, was für ein Prachtkerl sein Hund gewesen war: Er habe Gedanken lesen, Gefahr wittern, Menschenleben retten, das Unmögliche möglich machen und das Licht im Haus an- und ausschalten können.
    «Aber woher wissen Sie, dass die Berglöwin tot ist?», fragte Reuben.
    «Sie wurde heute Nachmittag gefunden. Vor vier Jahren ist sie von den Biologen der Universität am Ohr markiert worden, deswegen konnte man sie identifizieren. Das Vieh, das sie getötet hat, ist ihr mächtig zu Leibe gerückt. Da draußen muss wohl ein Bär sein Unwesen treiben. Seien Sie also lieber vorsichtig, Sie und Ihr hübsches Mädel.»
    Reuben nickte. Ihm war eiskalt, aber Galton in seiner Daunenjacke schien die Kälte nichts auszumachen, und er redete immer weiter. «Die hätten mir lieber eine Lizenz geben sollen, um die Bestie selber zu töten», sagte er. «Aber nein, die hätten noch so lange gewartet, bis das Vieh einen Menschen anfällt. Glauben Sie mir, früher oder später wäre es dazu gekommen.»
    «Und die Jungen?», fragte Reuben und konnte seinen Stolz kaum verbergen. Es erfüllte ihn mit Genugtuung, dass er die Berglöwin erschlagen und sich große Teile von ihr einverleibt hatte. Er genoss auch, dass Jim es wusste, denn er hatte es ihm erzählt, auch wenn der sich jetzt nichts anmerken ließ, sodass Galton nie dahinterkommen würde. Obwohl er sich seiner Gefühle schämte, überwog die freudige Erinnerung an die Fressorgie und seinen wunderbaren Unterschlupf in den Baumkronen.
    «Die Jungen werden sich jetzt trennen und eigene Reviere suchen. Aber vielleicht bleibt eins von ihnen da, wer weiß. In Kalifornien gibt es rund fünftausend solcher Wildkatzen. Eine ist kürzlich in die Stadt spaziert, wurde im Norden von Berkeley gesichtet, zwischen den Läden und Restaurants.»
    «Stimmt, davon hab ich gehört», sagte Jim. «Das hat eine ziemliche Panik ausgelöst. Aber nun muss ich los. Schön, Sie kennengelernt zu haben, Mr. Galton. Hoffentlich sehen wir uns bald mal wieder.»
    «Dann haben Sie also Ihren eigenen Priester in der Familie», sagte Galton, als Jim seinen alten Suburban startete. «Sie fahren einen Porsche, und er muss sich mit der alten Familienkutsche begnügen, was?»
    «An uns liegt es nicht», sagte Reuben. «Einmal hat meine Mutter ihm einen Mercedes gekauft, aber nach zwei Tagen hatte er die Nase voll von den höhnischen Bemerkungen der Obdachlosen in seiner Gemeinde und gab den Wagen zurück.»
    Reuben nahm Galton beim Arm. «Kommen Sie doch rein.»
    Am Küchentisch schenkte er Galton einen Kaffee ein und fragte ihn, was er über Felix Nideck wusste.
    «Er war ein feiner Kerl», sagte Galton. «Ein Aristokrat der alten Schule, wenn Sie mich fragen. Nun ja, nicht, dass ich mich da besonders auskenne … Aber er war beinahe zu gut für diese Welt, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er war in der ganzen Gegend beliebt. Ich kenne

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