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Das Geschenk der Wölfe

Das Geschenk der Wölfe

Titel: Das Geschenk der Wölfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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nicht.
    Reuben wünschte, Laura wäre bei ihm. Bestimmt würde sie die richtigen Worte finden.
    «Sind Sie ein Ehrenmann?», fragte er dann unvermittelt.
    Die Anwälte gerieten immer mehr aus der Fassung und flüsterten so erregt miteinander, dass Reuben sich nicht richtig konzentrieren konnte.
    «Ja», sagte Nideck und wirkte dabei aufrecht und ehrlich. «Wäre ich keiner, säße ich jetzt nicht hier.»
    «Können Sie mir dann Ihr Ehrenwort darauf geben, dass Sie keine Vergeltung dafür üben wollen, wie ich mit Marrok umgegangen bin, und dass Sie mich und meine Partnerin in Ruhe lassen werden?»
    «Himmel, Herrgott, Sakrament!», rief Hammermill aus. «Wollen Sie etwa andeuten, dass mein Klient …»
    «Sie haben mein Ehrenwort», sagte Nideck. «Zweifellos haben Sie lediglich getan, was Sie tun mussten.»
    «Das stimmt.» Reuben rang um Worte. «Ich habe wirklich nur getan, was ich tun musste. Und damit meine ich nicht nur meinen Umgang mit Marrok.»
    «Ja», sagte Nideck leise. «Ich weiß.»
    Reuben atmete tief durch. Das Wichtigste war gesagt. Jetzt konnte er auf den offiziellen Anlass dieses Treffens zu sprechen kommen.
    «Was Felix’ persönliche Hinterlassenschaften betrifft», sagte er, «die können Sie selbstverständlich haben. Ich habe sie nur gekauft, weil Marchent es so wollte. Ich wollte sie sichten und aufbewahren, bis eine Bibliothek oder Akademie sie übernimmt. Sie können sie jederzeit bei mir abholen. Sie gehören Ihnen.»
    Beide Anwälte begannen gleichzeitig zu sprechen. Simon sagte, so ohne weiteres könne diese Zusage nicht gegeben werden. Immerhin sei Geld geflossen, als diese Dinge den Besitzer wechselten. Außerdem müsse der Nachlass erst noch neu inventarisiert werden, da die alte Auflistung mehr als lückenhaft sei. Arthur Hammermill beschwerte sich darüber, dass ihm niemand gesagt habe, wie wertvoll die Hinterlassenschaften seien, die offenbar sogar musealen Wert besäßen. Das alles müsse in aller Ruhe besprochen werden.
    «Sie können alles haben», wiederholte Reuben und sah dabei Nideck an.
    «Vielen Dank», sagte er. «Das bedeutet mir mehr, als ich sagen kann.»
    Kopfschüttelnd kramte Simon in seinen Papieren und machte sich Notizen, und Hammermill schrieb etwas in seinen BlackBerry.
    «Dürfte ich Sie demnächst einmal aufsuchen?», fragte Nideck und sah Reuben an.
    «Sehr gern», sagte Reuben. «Jederzeit. Sie wissen ja, wo Sie mich finden. Kommen Sie recht bald. Ich möchte mit Ihnen …» Reuben sprach so schnell, dass er sich verhaspelte.
    Nideck lächelte und nickte. «Ich wünschte, ich könnte gleich mit Ihnen mitkommen. Leider habe ich aber andere Verpflichtungen. Man erwartet mich in Paris zurück. Aber ich rufe Sie so bald wie möglich an.»
    Reuben merkte, dass ihm Tränen kamen, Tränen der Erleichterung.
    Nideck stand abrupt auf, und auch Reuben erhob sich.
    An der Stirnseite des Tischs trafen sie aufeinander, und Nideck ergriff Reubens Hand.
    «Die Jungen erfinden die Welt neu», sagte er. «Und sie schenken uns diese neue Welt.»
    «Manchmal begehen die Jungen aber auch furchtbare Fehler», erwiderte Reuben. «Sie brauchen die Weisheit der Älteren.»
    Nideck lächelte und bediente sich noch einmal bei Teilhard de Chardin, als er sagte: «Wir alle sind Teil der Entwicklung, welche die Schöpfung mit der Zeit durchläuft.»
    Damit ging er aus dem Saal, und Hammermill eilte ihm nach.
    Simon saß wie gelähmt da und bat Reuben, wieder Platz zu nehmen.
    «Sie wissen, dass Ihre Mutter Sie von diesem ausländischen Arzt untersuchen lassen will, und ich denke, sie hat recht», sagte er.
    Es war der Anfang einer längeren Predigt, die mit bohrenden Fragen gespickt war. Das Treffen sei vollkommen aus dem Ruder gelaufen, man müsse alles in Ruhe besprechen und vor allem müsse Reuben sofort seine Mutter anrufen.
    Doch für Reuben war dieses Treffen ein Sieg. Ihm war aber auch klar, dass er Simon nichts erklären und ihn nicht einmal besänftigen konnte. Deswegen beeilte er sich, Laura aus dem Nebenzimmer abzuholen und mit ihr nach Hause zu fahren.
    Als er das Zimmer betrat, war Nideck bei ihr. Mit beiden Händen hatte er ihre rechte Hand genommen und redete leise auf sie ein.
    «… Sie werden nie wieder so einem Überfall ausgesetzt sein», hörte Reuben ihn gerade noch sagen.
    Laura bedankte sich und schien ziemlich beeindruckt zu sein.
    Nideck sah sich lächelnd zu Reuben um, deutete eine leichte Verbeugung an und verschwand dann in einem langen Gang mit dunklen

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