Das Geschenk des Osiris
recht schnell begriffen, dass weder der König noch seine Beamten dem Tempel die notwendige Aufmerksamkeit schenkten. Also nutzte er die Situation schamlos aus, um sich anfangs in Maßen, doch mit der Zeit immer mehr am Eigentum des Gottes zu bereichern. So etwas darf nicht noch einmal passieren.«
»Das wird es auch nicht, Netnebu. Nicht unter mir.«
Amunhotep war klar, wem er seine Ernennung zu verdanken hatte, und er war fest entschlossen, den zukünftigen Herrscher nicht zu enttäuschen.
»Ich werde einen ausführlichen Bericht über die Situation im Heiligtum des Osiris verfassen und dem zukünftigen Pharao senden. Ich werde Itiamun untertänig darum bitten, grundlegende personelle Veränderungen durchführen zu dürfen. Weiterhin werde ich den Wunsch äußern, der zukünftige Pharao möge das Haus des Großen Gottes Osiris mit Gefangenen füllen, die Seine Majestät als Kriegsbeute von seinen Strafexpeditionen und Feldzügen mit nach Hause bringen wird. Ich habe in Opet-sut gelernt, dass es leichter ist, das einfache Tempelpersonal aus Unfreien zu rekrutieren, als dafür Leute von außerhalb des Tempels einzusetzen. Unfreie, die innerhalb des heiligen Bezirks wohnen, werden Tag und Nacht von ihren Aufsehern überwacht. Sie stehen ständig zur Verfügung und erscheinen pünktlich zum Dienst. Du weißt, Netnebu, mit welchen fadenscheinigen Begründungen die Fehlzeiten freier Bediensteter oftmals begründet werden: überraschender Besuch eines Verwandten oder Freundes oder aber ein schwerer Kopf nach einer durchzechten Nacht.«
Netnebu schmunzelte. »Haben wir uns nicht auch so manche faule Ausrede einfallen lassen, um den Unterricht zu schwänzen?«
»Das ist etwas anderes. Damals waren wir dumme Knaben, heute haben wir verantwortungsvolle Ämter inne. Ich gehe sogar soweit, dass ich, allerdings nur mit Ramses ’ Zustimmung, verfügen werde, dass nicht nur die einfache Priesterschaft während ihrer Dienstzeit im Tempelbereich wohnt. Es soll dieses Gebot auch für die oberen Grade bindend sein.«
»Das wird Paheri sicher nicht gefallen«, warf Netnebu ein und runzelte die Stirn. »Er hat sich, wie ich hörte, gerade ein schmuckes Anwesen in der Nähe von Abydos gekauft. Und auch Baken wird nicht begeistert sein, ständig im Tempelbezirk wohnen zu müssen. Er hat Familie.«
»Das interessiert mich nicht«, gab Amunhotep unwirsch zurück. »Es kann nicht angehen, dass es fast eine Stunde dauert, wenn einer der beiden benötigt wird. Das Haus des Obersten Schreibers steht leer. Da kann es sich Paheri bequem machen. Ich werde es, genau wie deins und das von Maj, erweitern lassen, damit es wohnlicher wird. Zudem wird es ein paar Neubauten geben, damit sowohl für Baken als auch für Gäste Wohnraum zur Verfügung steht.«
»Die beiden werden dennoch nicht begeistert sein«, beharrte Netnebu. »Hast du es ihnen schon gesagt?«
»Noch nicht, aber schon bald werde ich alle über die Veränderungen in Kenntnis setzen. Ich vertraue bis dahin auf deine Verschwiegenheit.«
»Der kannst du dir sicher sein.« Aufmerksam taxierte Netnebu den Freund.
Amunhotep schäumte vor Tatendrang und schien sich fest vorgenommen zu haben, dem Heiligtum den Glanz vergangener Zeiten zurückzugeben, und dafür forderte er die Mithilfe aller. Ob er jedoch auf sehr viel Gegenliebe seitens der Priester, vor allem der höheren Grade stoßen würde, bezweifelte Netnebu. Glücklicherweise betraf keine der Änderungen Ipuwer, in dem Netnebu den größten Kontrahenten des neuen Oberpriesters sah. Blieb also abzuwarten, wie Paheri, Maj und Baken mit den Veränderungen umzugehen verstanden.
»Ich hätte da vielleicht noch eine weitere Idee«, sagte er. »Vielleicht sollte auch in den Reihen der niederen Priesterschaft ein fester Stamm beschäftigt werden und die Dienstzeit derer, die nur auf Zeit ihr Amt versehen, von einem auf vier Monate verlängert werden.«
»Guter Einfall, Netnebu. Ich hatte daran ebenfalls schon gedacht.« Amunhotep schmunzelte. Er hatte zwar vorgehabt, mit niemanden über seine Pläne zu sprechen, bevor er nicht die Bewilligung durch den künftigen Pharao in Händen hielt. Netnebu war jedoch sein Freund. Er vertraute ihm und schätzte seine Meinung; also hatte er ihn in seine Planung mit einbezogen.
Aber auch die anderen Angehörigen der oberen Priesterschaft setzten Vertrauen in ihn und hatten ihn bisher nicht mit Fragen behelligt. Ipuwer gab sich distanziert, schien sich aber in seine Rolle als Schatzmeister
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