Das Geschenk des Osiris
hatte. Sie war die ältere Tochter von Wesir Nehi gewesen, wunderschön und dazu noch klug. Nach ihrem Tod hatte sich Sethi in sich zurückgezogen. Es hatte Monate gedauert, bis er wieder zu leben begonnen hatte. Von da an hatte er sich wahllos Frauen und Mädchen in sein Bett geholt, doch die Richtige war nie dabei gewesen.
Er seufzte, und Itiamun sah ihn über den Rand seines aus durchscheinendem Alabaster bestehenden Weinbechers an.
»Ich vermisse sie.«
»Wen? Deine Frau?«
Sethi bejahte und griff ebenfalls nach seinem Wein und trank.
»Sie war etwas Besonderes«, erklärte er, nachdem er den Becher von den Lippen genommen hatte. «Sie war klug und kein Gänschen, wie die meisten anderen Frauen. Ich konnte mit ihr Gespräche über Dinge führen, von denen die meisten Frauen nichts verstehen oder die sie nicht mögen. Welches der jungen Dinger an Pharaos Hof hat schon Interesse für das geschriebene Wort? Viele können noch nicht einmal richtig lesen.«
Res Barke verschwand hinter den westlichen Bergen und ihre letzten Strahlen tauchten die östlichen Felsspitzen des Tals in ein loderndes Rot. Es wurde Zeit, den toten Pharao in sein Ewiges Haus zu bringen.
Itiamun räusperte sich. »Es ist in der Tat nicht so einfach, eine passende Frau zu finden. Auch ich wollte lange nichts davon hören. Es kam mir wie ein Verrat an Isis vor, mir eine weitere Gemahlin zu nehmen. Doch dann traf ich Tani, und es war um mich und mein Herz geschehen.«
Er lächelte und sein Blick strich liebevoll über seine beiden Frauen, die unweit von ihm in ein Gespräch vertieft waren. Seine Mutter unterhielt sich mit seiner Schwester, während Nehi und Nesamun schweigend nebeneinander saßen und in ihren Wein starrten. Er richtete seinen Blick wieder auf Sethi. »Auch du wirst irgendwann der richtigen begegnen.«
Itiamun trank seinen Wein aus und erhob sich. Er gab den Priestern ein Zeichen, den Sarg des Königs zu verschließen. Wenig später wurde er in das Innere des Ewigen Hauses getragen. Es folgten nur noch die engsten Verwandten und die beiden Einzigen Freunde des Pharaos mit Blumen in den Händen.
Während des Begräbnisschmauses hatten Diener und Priester alle Beigaben und Statuen ordentlich in den Gewölben des Ewigen Hauses untergebracht. Die Uschebtis waren auf die Räume verteilt worden und warteten darauf, auf ein Wort des Verstorbenen für diesen im Schönen Westen zu arbeiten.
Trotz des traurigen Anlasses schweifte Itiamuns Blick bewundernd über die Wände und Decken der Gänge und Säle, bis sie endlich in der Sarkophaghalle standen. Diese Kammer war so wunderschön und liebevoll von den Handwerkern gestaltet worden, dass sie dem jungen Mann besondere Anerkennung abrang. Hier stand der riesige Sarkophag aus schwarzem Granit, in welchem die Mumie zur letzten Ruhe gebettet wurde. Die Wände zierten Texte und Zeichnungen aus dem
Buch der Erde
, dem Schöpfungsmythos der Welt durch den Großen Gott Re, während die Decke mit Darstellungen aus dem
Buch des Tages
und dem
Buch der Nacht
verziert worden war.
»Beeindruckend!«, murmelte Itiamun anerkennend.
Auf sein Zeichen wurde der schwere Deckel auf den Sarkophag gehievt; dann zogen sich die Priester zurück und ließen die königliche Familie sowie Nesamun und Nehi allein. Nach einem kurzen Moment des Gedenkens an den toten Pharao, legten sie ihre Blumensträuße auf den schwarzen, kühlen Steinsarg und verließen schweigend die letzte Ruhestätte. Sie wurde verschlossen und von Nesamun mit dem Zeichen der Totenstadt versiegelt.
* * *
In jener Nacht erschien dem Thronfolger der Beiden Länder der Große Gott Osiris im Traum.
»Es gibt eine Frau, eine Fremde, die für ein Verbrechen, welches sie nie begehen wollte, in Theben vor Gericht steht und mit dem Tode bestraft werden soll. Diese Fremde musst du finden und ihre Strafe in ein milderes Urteil umwandeln. Sie ist ein Geschenk von mir, dem Großen Gott Osiris, an dich, Ramses-Itiamun, den neuen Pharao. Mache sie zu deiner Dienerin, und sie wird dir bis in alle Ewigkeiten treu und ergeben zu Diensten sein!«
ZEHN
Zwei Tage nach der Beisetzung des Königs kam um die Mittagsstunde ein kahl geschorener Priester des Amun in Thotmoses Arbeitszimmer.
»Du wirst in der ersten Stunde der Nacht im Tempel von Opet-sut erwartet«, richtete er ihm ohne Umschweife aus, und verwundert sah Thotmose den Mann an.
»Wer wünscht mich dort zu sehen?«
»Stelle keine Fragen, Richter. Gehorche
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