Das Geschenk des Osiris
Ibiranu dazu durchgerungen hätte, deinen Namen preiszugeben?«, fuhr er den Haushofmeister lauter an, als er eigentlich vorgehabt hatte. »Ist dir bewusst, dass wegen deiner Feigheit Menschen leiden mussten, dass anstelle von Maat Chaos regieren konnte?« Er schlug mit der flachen Hand auf die Lehne seines wunderschönen Richterstuhls, und Amunmose zuckte angstvoll zusammen. »Ich nehme an, Ibiranu«, wandte er sich dem Syrer zu, der die ganze Zeit unauffällig im Hintergrund geblieben war, »dass auch dir das alles bekannt gewesen ist?«
Thotmoses Blick schoss wütende Pfeile in seine Richtung, und so wagte es der Syrer nicht, ihn zu belügen. Schweigend nickte er.
»Was hat dir Ibiranu für deine Auskünfte über Senbi gegeben?«, richtete Thotmose sein Augenmerk erneut auf Amunmose, winkte aber gleich darauf ab. »Ich will es gar nicht wissen. Du bist nicht nur feige, du bist auch bestechlich, Amunmose, und deshalb verurteile ich dich zu einhundert Stockschlägen, fünf davon besonders hart.«
Amunmose war kreidebleich geworden und zitterte am ganzen Körper. »Aber, Hoher Herr, Erhabener, bitte«, versuchte er den Richter zu besänftigen, doch zwei kräftige Gerichtsdiener hatten ihn bereits ergriffen. Sie zerrten ihn grob auf die Beine und brachten ihn aus dem Gerichtshof, während der Syrer mit gesenktem Kopf unweit danebenstand und zu Astarte betete, dass ihn nicht das gleiche Schicksal ereilen würde.
»Nun zu dir, Ibiranu. Du bist zwar der Kläger in diesem Prozess; das hindert mich aber nicht, auch dich für dein Vergehen zu bestrafen. Amunmose hat dir erzählt, was im Hause des Kaufmanns vorgeht, und du hast dir sicher gedacht, dass man bei einer Verhandlung Senbi daraus einen Strick drehen kann. Ganz falsch hast du damit nicht gelegen, aber auch du hast dich strafbar gemacht, indem du solch abscheuliche Dinge nicht einem Gericht gemeldet hast. Nachdem du von Amunmose erfahren hattest, dass Senbi dich töten lassen will, hättest du zu einem Richter oder zu den Medjai gehen und Anzeige gegen den Kaufmann erstatten können. Stattdessen behinderst auch du den Fortgang eines Verfahrens, indem du den Namen deines Informanten nicht preisgeben willst. Und auch du hättest in Kauf genommen, dass ich eine Unschuldige wegen Falschaussage verurteile.« Thotmose kochte erneut vor Wut. »Ich werde dein Strafmaß nicht festlegen, das überlasse ich dem Wesir. Immerhin belieferst du die Werkstätten der Tempel, und ich bin mir nicht sicher, ob ein verachtenswerter Mensch, wie du es bist, das auch weiterhin tun sollte.« Er gab dem Syrer zu verstehen, dass er sich zurückziehen durfte, und wie ein geprügelter Hund schlurfte der syrische Holzhändler zu seinem Platz.
»Die Beweisaufnahme ist beendet«, fuhr Thotmoses fort, während sein Blick über das anwesende Publikum glitt und schließlich auf seinen Beisitzern verharrte. »Ist es euch möglich, zu einem Urteil zu kommen?«
Alle zehn Männer und Frauen bestätigten einstimmig, dass sie Senbi für schuldig hielten, der Auftraggeber des missglückten Attentats auf Ibiranu zu sein. Gleiches befanden sie in Bezug auf die Misshandlungen und Vergewaltigungen seines Dienstpersonals. Als es um die Schuldfrage der Angeklagten ging, waren die Meinungen geteilt.
Die Beisitzer legten Satra zur Last, dass sie das Gift genommen und damit den Syrer aufgesucht hatte. Allerdings war man sich uneinig, ob sie nun wirklich vorgehabt hatte, den Händler zu töten oder nicht. Für unschuldig wurde sie wegen des Verdachts der Falschaussage befunden, obwohl alle darüber erzürnt waren, dass Satra mit ihren Schwüren die Götter beleidigt und sich über das Gericht lustig gemacht hatte. Sie forderten eine Bestrafung dafür.
»Dann werde ich jetzt die Urteile verkünden.« Richter Thotmose nahm seinen Amtsstab aus den Händen des Gerichtsdieners und klopfte dreimal auf den Boden. »Im Jahr eins, am dreiundzwanzigsten Tag des zweiten Erntemonats, unter der Herrschaft Seiner Majestät, dem von der Biene und dem von der Binse, Usermaatre Setepenre Ramses Netjer Heqaiunu, dem es gewährt sein möge, wie sein Vater Re ewig zu leben, und im Namen der Göttin Maat ergehen folgende Urteile.
Der thebanische Kaufmann Senbi wird in Abwesenheit wegen Mordversuchs und Vergewaltigung zum Tod durch Erwürgen verurteilt. Die beiden syrischen Angestellten Abischemu und Raija, die in Diensten des Kaufmanns Senbi stehen, werden ebenfalls in Abwesenheit wegen Vergewaltigung zum Tod durch Erdrosseln
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