Das Geschenk: Roman
gefragt!«, konterte sie heftig.
Steve sah Tom an und versuchte, den Sorglosen zu spielen. »Deshalb machen wir ’s auf eigene Faust. Weil wir einander lieben.«
Doch Julie war noch nicht fertig. »Seine Familie ist nicht mit mir einverstanden. Nur weil ich aus einem winzigen Nest in den Appalachen komme, bin ich für die so was wie weißer Abfall. Okay, es stimmt, dass mein Dad seit seinem sechzehnten Lebensjahr im Bergwerk geschuftet und meine Mom nie die High School abgeschlossen hat«, sie funkelte Steve an, »und dass deine Eltern zur besseren Gesellschaft von Connecticut gehören. Aber meine Familie ist kein Müll ! Sie ist mindestens so gut wie deine und«, fügte sie voller südstaatlichem Trotz hinzu, »in vieler Hinsicht sogar noch besser !«
Tom stellte fest, dass er mit seiner Vermutung, was Julies Herkunft betraf, richtig gelegen hatte: das Virginia-Girl und der Connecticut-Boy. »Ist denn Ihre Familie mit der Heirat einverstanden?«, fragte er Julie und versuchte, die Spannung ein wenig abzubauen.
»Sie mögen Steve sehr, aber sie finden, dass ich zu jung bin. Steve und ich besuchen dasselbe College. Dort haben wir uns kennen gelernt. Meine Eltern wollen, dass ich die Schule beende, bevor ich heirate.«
»Hm, das ist verständlich, vor allem, wo Ihre Eltern selbst wohl nie die Chance hatten, ein College zu besuchen. Sie wollen sicher nur das Beste für Sie.«
»Das Beste für mich ist Steve.« Sie lächelte ihn an, und Tom hatte keinen Zweifel, dass dem jungen Mann zu Herzen ging, was Julie im Augenblick durchmachte. Die beiden mochten noch ziemlich jung sein, aber sie waren auf jeden Fall alt genug, um sich Hals über Kopf ineinander zu verlieben.
»Und ich werde das College abschließen«, fuhr Julie fort, »und dann studiere ich Jura an der Universität von Virginia. Ich werde meinen Eltern alle Ehre machen. Aber das tue ich nur als Steves Ehefrau.«
»Tja«, sagte Tom, »es ist Ihr Leben, und ich finde, Sie sollten dem Ruf Ihres Herzens folgen.«
»Danke, Tom«, sagte Julie und legte kurz eine Hand auf seinen Arm.
Wenn er selbst diesen Rat doch nur bei Eleanor befolgt hätte! Dann wäre sicher vieles anders. Ironischerweise hatten auch sie sich auf dem College kennen gelernt. Eleanor war eine von den blitzgescheiten Intelligenzbestien, die mit sechzehn die High School und mit neunzehn das College beenden. Nach dem College hatten sie gemeinsam dem Enthüllungsjournalismus in den USA gefrönt und ein paar bedeutende Storys veröffentlicht, ehe sie den Sprung ins Reporterdasein gewagt und sich als fliegendes Überseebüro eines frisch gegründeten Nachrichtendienstes hatten einstellen lassen. Dabei hatten sie Erfahrungen gemacht, die sicherlich für mehrere normale Menschenleben gereicht hätten. Sie hatten sich ineinander verliebt, wie Steve und Julie, und hätten sich ebenfalls verloben und möglichst schnell heiraten sollen. Doch zwischen ihnen war es so abrupt zu Ende gegangen, dass es Tom noch immer schrecklich schmerzte, sich ihre letzten gemeinsamen Augenblicke ins Gedächtnis zu rufen.
»Ist der Geistliche denn schon im Zug?« Tom war kurz der Gedanke gekommen, dass Father Kelly in offizieller Funktion an Bord war, doch der Priester hatte ja erklärt, er habe sich zur Ruhe gesetzt. Außerdem hätte er die bevorstehende Trauung sicherlich erwähnt.
Steve schüttelte den Kopf. »Der Priester steigt in Chicago zu. Die Zeremonie soll erst am nächsten Tag stattfinden. Unsere Braujungfer und unseren Trauzeugen treffen wir ebenfalls erst in Chicago.«
»Na, dann kann man Ihnen beiden nur viel Glück wünschen. Ich gehe davon aus, dass der ganze Zug eingeladen ist«, fügte er hinzu.
»Ja, sicher, und wir hoffen sehr, dass jeder erscheint«, sagte Steve.
»Stimmt«, meinte Julie ein wenig nervös, »sonst wird es nämlich eine ziemlich triste Feier.«
»So was sollte keiner Braut passieren. Ich werde kommen, Julie, und ich bringe alle meine Freunde aus dem Zug mit.« Zwar hatte Tom noch keine Freunde im Zug, aber konnte es so schwer sein, im Cap Freundschaften zu schließen? Schlimmstenfalls hätte er Agnes Joe in der Hinterhand.
»Im Salonwagen, gegen neun Uhr vormittags«, sagte Steve. »Die Station heißt La Junta.«
»Das ist Spanisch und bedeutet so viel wie ›Verbindung‹ oder ›Vereinigung‹«, erklärte Julie. »Für eine Trauung klingt das ziemlich passend.«
»Eins würde mich interessieren – warum ausgerechnet in einem Zug?«
Julie lachte. »Wahrscheinlich hört
Weitere Kostenlose Bücher