Das Geschenk: Roman
Normalerweise habe ich längst geöffnet. Ich sag über die Lautsprecheranlage Bescheid.«
»Kein Problem, Tyrone. Regina sagte mir, ich könnte herkommen, wenn ich irgendwas brauche.«
Während Tyrone seine Waren ausbreitete, musterte er Tom voller Interesse. »Sind Sie der Schriftsteller, von dem Regina mir erzählt hat?«
»Genau. Der Schreiberling.«
»Cool. Was wollen Sie wissen?«
»Zuerst mal, warum Sie Elvis-Fan sind.«
Er lachte. »Die Frisur hat mich verraten, stimmt’s, Mann? Immer sind es die Haare.«
»Ja, es war tatsächlich die Frisur.«
»Dank, danke, danke.« Tyrone machte einen eleganten kleinen Hüftschwung.
»Ich bin beeindruckt.«
»Ich kenne alle Songs von Elvis und sämtliche Posen. Für ’nen Weißen hatte der Typ das ziemlich gut drauf.«
»Arbeiten Sie schon lange auf diesem Zug?«
»Ich bin seit ’93 bei Amtrak. Auf diesem Zug fahre ich jetzt sieben Jahre.«
»Ich wette, in der Zeit haben Sie eine Menge gesehen.«
»Das kann ich Ihnen flüstern. Ich habe Sachen erlebt – o Mann! Sobald die Leute in ’nem Zug sitzen, ist es so, als würden sie sämtliche Hemmungen ablegen. Ich weiß, wie chaotisch es manchmal in ’nem Flugzeug zugeht, wenn die Leute einen sitzen haben, aber diese Betrunkenen sind nichts gegen die durchgeknallten Zugpassagiere. Wollen Sie ein Soda oder was anderes?«
»Nur wenn Sie nichts Stärkeres anzubieten haben, und das hoffe ich doch.«
Tyrone öffnete eine Flasche Bier und reichte sie Tom. Der lehnte sich an die Wand, um Tyrone weiter zuzuhören.
»Bei meiner ersten Fahrt auf diesem Zug in Richtung Norden haben wir Pittsburgh gegen Mitternacht verlassen«, begann Tyrone, »als ich aus einem der Schlafwagen lautes Geschrei höre. Der Salonwagen ist geschlossen, und ich hab dienstfrei, aber ich gehe trotzdem rauf, weil für jeden Schlafwagen nur ein Begleiter da ist, und ich war der Neue und wollte meine Sache besonders gut machen. Also gehe ich rauf, und da sehe ich den Typen. Splitterfasernackt. Er treibt es auf dem Gang mit ’ner Mieze, die bloß in ein Handtuch gewickelt ist. Und dann ist da noch eine total durchgedrehte Lady im Pyjama, die dem Kerl an der Gurgel hängt, während Monica, die Schlafwagenbegleiterin, die Frau wegzuzerren versucht.«
»Was passierte dann?«
»Tja, die Sache war die, dass der nackte Typ mit seiner Geliebten erwischt worden war. Er hatte sie auf seine Kosten in ihrem eigenen Schlafwagenabteil mitfahren lassen, das zwei Türen von dem Abteil entfernt war, das er für sich und seine Missus gebucht hat. Ich glaube, der Alte kriegte den Hals nicht voll. Er hatte anscheinend versucht, seiner Frau ’ne Schlaftablette unterzujubeln, sodass er mit seiner Tussi ungestört rummachen konnte, aber die Lady hat geahnt, dass irgendwas im Busch war, und hat die Pille nicht geschluckt. Stattdessen ist sie ihrem Alten hinterhergeschlichen und hat ihn und die Mieze dabei erwischt, als sie voll zugange waren.«
»Und was geschah weiter?«
»Die Geliebte ist an der nächsten Station ausgestiegen. Den feurigen Liebhaber sah ich wenig später, als er sich in Chicago wie ein geprügelter Hund davonschlich.«
Während Tyrone erzählte und dabei weiter arbeitete, rutschte ihm eine Halskette aus dem Hemdausschnitt. Tom erkannte den Anhänger an der Kette.
»Sie haben das Purple Heart?«, fragte er. »Woher?«
»Aus dem Golfkrieg«, antwortete Tyrone und ließ die Kette wieder im Hemd verschwinden. »Ich war bei der Army. Hab mir in ’nem Bein ein paar Splitter eingefangen, als eine Salve unseren Bradley traf.«
»Ich habe über diesen Krieg berichtet. Die Kämpfe waren viel heftiger, als man den Berichten in der Heimat entnehmen konnte.«
»Kann man wohl sagen.«
»Ihnen gefällt die Arbeit hier, nicht wahr?«
»He, Mann, es ist bloß ein Job. Aber zugegeben, er macht auch Spaß. Ich hab so meinen eigenen kleinen Zeitvertreib entwickelt. Kopfrechnen. Addieren, subtrahieren, was die Gäste verzehren. Und ich unterhalte mich mit den Passagieren. Vor allem die Kids haben’s mir angetan. Eisenbahnen und Kinder sind was ganz Besonderes, als wären sie füreinander geschaffen, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Er redete weiter, während er seine Vorbereitungen fortsetzte. »Drei Tage arbeit ich, dann hab ich vier Tage frei. So läuft das fürs Personal auf den Fernzügen. Auf den ganz langen Strecken, zum Beispiel auf dem Chief oder dem Zephyr, arbeitet man sechs Tage und hat dann acht Tage frei. Das klingt nach ’ner Menge
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