Das Geschenk: Roman
ging zum nächsten Abteil. Er wollte gerade einen Blick hineinwerfen, als ein Mann die Tür aufschob und beinahe mit ihm zusammenstieß.
»Verzeihung«, sagte er. Tom blickte auf die nicht angezündete Zigarette in der Hand des Mannes. »Ich habe gerade erfahren, dass in meinem Abteil das Rauchen verboten ist«, erklärte er.
Tom taxierte den Mann mit raschem Blick von Kopf bis Fuß, eine alte Reportergewohnheit. Der Fremde war mittelgroß, Anfang sechzig und schlank, aber mit einem ersten leichten Bauchansatz. Er hatte volles, silbergraues Haar, eine gesunde kalifornische Weihnachtsbräune und war elegant und teuer gekleidet: schwarze Hose, weißes Seidenhemd, Tweedsakko und Bruno-Magli-Schuhe. Tom witterte in dem Burschen sofort den zufriedenen, sorglosen Gagenmillionär.
»In der unteren Etage gibt es einen Rauchersalon«, ließ Tom den Mann wissen.
»Dann werde ich ihn aufsuchen. Hab schon an die hundert Mal versucht, dieses Laster aufzugeben, und alles ausprobiert – Pflaster, sogar Hypnose. Alles für die Katz.«
»Ich habe früher zwei Schachteln am Tag geraucht, aber jetzt reicht mir gelegentlich eine gute Zigarre.«
Das schien das Interesse des Mannes zu wecken. »Und wie haben Sie das geschafft?«
»Mein Leben hing davon ab.«
»Verstehe. Wer will schon an Lungenkrebs sterben?«
»Nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich war mal Nachrichtenkorrespondent in Übersee und gehörte zu einem Konvoi von Journalisten, die von Guerillas angegriffen wurden. Einer der Wagen vor uns wurde getroffen. Unsere Wächter rieten uns, ganz ruhig zu bleiben. Dann explodierte vor uns ein Laster. Die Wächter sagten, wir sollten ruhig Blut bewahren und nichts tun. Dann schlug dicht neben uns eine Granate ein. Bumm! Wieder sagten die Wächter, wir sollten Ruhe bewahren. Und dann sprangen sie raus und rannten in Deckung.«
»Mein Gott! Und was ist dann passiert?«
»Offensichtlich hatten die Angreifer uns im Visier. Wir hatten keine Lust, zu warten, bis sie uns mit einem Volltreffer erwischten. Also sprangen wir alle raus und rannten in die Berge. Ein Typ von Reuters, um die fünfzig und starker Raucher, hat’s nicht geschafft. Er kippte einfach um, wahrscheinlich Herzinfarkt.«
»Haben Sie ihm geholfen?«
»Hätte ich gern, aber ich schleppte gerade jemanden aus der Schusslinie. Jemanden, der sich den Knöchel verstaucht hatte und keinen Schritt mehr gehen konnte. Ich kämpfte mich den Berg hoch, und mein Herz und meine Lunge fühlten sich an, als würden sie jeden Moment platzen. Es kam mir vor, als müsste ich für jede Zigarette büßen, die ich je geraucht hatte. Aber wir schafften es immerhin bis ins Lager unserer Leute, wenn auch nur ganz knapp.«
»Und der andere Knabe?«
»Ich hoffe, dass der Herzinfarkt ihn erlöst hat, ehe die Guerillas ihn fanden. Es war bekannt, dass sie mit ihren Feinden nicht gerade sanft umsprangen. Seitdem habe ich keine Zigarette mehr angerührt«, sagte Tom. »Diese Methode des Abgewöhnens würde ich natürlich nicht jedem empfehlen. Sie könnte verheerende Nebenwirkungen haben.«
»Das denke ich auch. Eine tolle Story. Sie sind Kriegsberichterstatter, nicht wahr?«
»Nicht mehr. Das gefährlichste Thema, über das ich in letzter Zeit geschrieben habe, war, wie man Wandschränke so aufteilt, dass auch der Ehemann ein bisschen Platz für seine Sachen darin findet. Oder ich lasse mich über potenzielle Katastrophen beim heimischen Grillabend aus.«
Der Mann lachte und streckte ihm die Hand entgegen. »Das ist gut. Wirklich gut. Übrigens, ich bin Max Powers.«
Tom hatte längst das Gefühl, den Mann zu kennen, und als dieser nun seinen Namen sagte, wusste Tom, wen er vor sich hatte: den berühmten Regisseur, der zu den Top Ten der einflussreichsten Persönlichkeiten Hollywoods zählte. Wenngleich er für seine ungemein erfolgreichen Kassenschlager bekannt war, hatte er auch einige Filme abgeliefert, die sogar den strengsten Kritikern ein Lob hatten abringen können. Außerdem war er mehrmals für den Oscar nominiert worden und hatte die begehrte Trophäe im Jahr zuvor tatsächlich erhalten.
»Tom Langdon. Ich habe viele Ihrer Filme gesehen, Mr Powers. Sie verstehen sich darauf, eine Geschichte zu erzählen. Das finde ich viel wichtiger als all den hochgestochenen Krempel, an dem die Kritiker sich so gern berauschen.«
»Danke. Genau das versuche ich immer wieder: eine Geschichte zu erzählen. Und sagen Sie ruhig Max zu mir.« Er ließ die ungerauchte Zigarette in seiner
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