Das Geschenk: Roman
rasch.
Sie war noch schöner als beim letzten Mal, als Tom sie gesehen hatte – und schon damals hatte die Messlatte sehr hoch gelegen. Eleanor war groß und immer noch schlank, und sie hatte ihr kastanienbraunes Haar nicht kurz geschnitten, wie viele Frauen um die vierzig es gern tun: Ihr Haar war noch schulterlang und sexy. Sicher, in ihrem Gesicht waren einige Fältchen mehr, aber sogar die wirkten auf eine Weise attraktiv, wie eine glatte, makellose Haut es nie sein konnte, und waren wie ein Beweis dafür, dass die Besitzerin tatsächlich gelebt hatte. Und die großen grünen Augen besaßen noch immer eine Kraft und Intensität, dass Tom unwillkürlich nach einer Sitzgelegenheit suchte, ehe der Blick dieser Augen ihn umhaute. Eleanor trug eine graue Wollhose, elegante schwarze Schuhe mit flachen Absätzen und einen weißen Pullover über einer blauen Bluse, deren Kragen oben herausschaute.
Tom erinnerte sich deutlich, wie er Eleanor das erste Mal auf dem Campus gesehen hatte. Sie trug damals sehr kurze Shorts, die ihre langen Beine überaus reizvoll zur Geltung brachten, einen roten, ärmellosen Pulli, Flipflops und ein gelbes Kopftuch im Haar. Er hatte einfach nicht den Blick von ihr wenden können – und das hatte er in den darauf folgenden fünfzehn Jahren nur sehr selten getan.
Nachdem beide ihr Studium der Journalistik beendet hatten, beschlossen sie, sich zusammenzutun. Ihr erster Auftrag für eine kleine Zeitung in Georgia bestand darin, dem legendären Reverend Little Bob Humphries auf dessen Tournee durch den tiefen Süden von Anniston, Alabama, bis Tupelo, Mississippi, und in jedes winzige Provinznest dazwischen zu folgen. Reverend Bob in seiner Kostümierung – weißer Anzug, weiße Schuhe und sehr breiter weißer Gürtel – konnte die Kranken heilen, die Zornigen besänftigen, die Trauernden trösten und die Bösen vor dem Fegefeuer retten, und alles in einer einzigen Sitzung und für jeden halbwegs nennenswerten Geldbetrag (nämlich alles, was der Gläubige in den Taschen hatte). Man konnte den letzten Cent verstecken, wo man wollte, Reverend Bob fand ihn und erleichterte einen darum, wobei er einen Charme und eine so traurig-vorwurfsvolle Miene an den Tag legte, dass man sich tatsächlich für den Versuch schämte, ihm das Geld vorenthalten zu wollen.
Der heilige Mann fuhr einen nach eigenen Maßen und speziellen Wünschen gebauten Chevrolet Impala. Es war der größte Chevy, den Tom je gesehen hatte – was vor allem an dem gigantischen Kofferraum lag, denn der fromme Prediger akzeptierte ohne jeden Anflug von Scham als milde Gabe für sein Wirken schlichtweg alles, von offizieller Währung über gepökelte Schweineschultern bis hin zu diversen Familienangehörigen, die ihm ihre Hilfsdienste anboten. Tom hatte immer gedacht, dass der Reverend in irgendeiner Weise mit dem Duke und dem Dauphin verwandt sein musste, den Betrügern aus Huckleberry Finn . Soweit Tom wusste, war Little Bob im Gegensatz zu den vornehmen Wegelagerern aus Twains Meisterwerk niemals geteert und gefedert aus einer Stadt gejagt worden. Trotzdem hätten die betrogenen Bürger so etwas durchaus tun können, und Gott hätte wahrscheinlich nicht mal mit der Wimper gezuckt. Eher hätte er als Belohnung für eine solch gute Tat das ein oder andere Wunder gewirkt.
Dennoch musste Tom die Zählebigkeit dieses Mannes bewundern. Nach Abschluss ihrer Recherchen hatte Tom dem Reverend zum guten Schluss sogar seinen letzten Zwanziger überlassen, dabei war er nicht mal Baptist. Es geschah in einem Moment der Schwäche und geistigen Umnachtung, für den Tom heute noch keine Erklärung hatte. Zu Eleanors Ehre muss man jedoch sagen, dass sie Toms Zwanziger wieder zurückgeholt hatte und damit der einzige Mensch war, ob tot oder lebendig, der jemals Geld aus Reverend Bobs Tasche hatte retten können. Die anschließende öffentliche Entlarvung des Scharlatans wurde landesweit bekannt, verschaffte Eleanor und Tom einen gewissen Ruhm und legte Hochwürden das Handwerk.
»Wie ist es dir ergangen?«, erkundigte sie sich nun kühl.
»Ich … habe gearbeitet. Im letzten Jahr … vorwiegend hier in den Staaten«, brachte Tom mühsam hervor.
»Ich weiß. Ich habe deinen Artikel über Duncan-Phyfe-Möbel gelesen, den du fürs Architectural Journal geschrieben hast. Es war der erste Artikel über antike Möbel, bei dem ich herzlich gelacht habe. Er war richtig gut.«
»Ganz unter uns«, sagte Tom, durch diese Reaktion ermutigt, »als ich die
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