Das Geschenk: Roman
andere Gedanken zu kommen, beschäftigte Tom sich mit den Diebstählen. Fast alle Abteile der ersten Klasse waren heimgesucht worden, was durchaus logisch erschien. Und doch gab es eine Ausnahme: Agnes Joe. Sie hatte sich nicht gemeldet, als der Bahnpolizist die Aussagen der Fahrgäste aufgenommen hatte; offenbar hatte der Dieb sie verschont. Aber warum? War Agnes Joe selbst der Dieb? Dann wäre es ziemlich dumm, alle anderen außer sich selbst zu bestehlen. Oder es war eben nicht dumm, sondern fast schon genial! Denn die meisten Leute, die Bahnpolizei eingeschlossen, würden zu der gleichen Schlussfolgerung gelangen wie Tom. Außerdem hatte er gesehen, dass Agnes Joes Reisetasche in ihrem Abteil bis zum Platzen gefüllt gewesen war. Sie hatte die Tasche nicht mal ausgepackt.
Während Tom diesen Gedanken weiterverfolgte, rollte der Chief aus dem Bahnhof. Ein Blick auf die Uhr: 15:15 Uhr, auf die Minute pünktlich. Aber das war der Cap anfangs auch gewesen.
In diesem Moment erschien Kristobal mit einem Camcorder. »Mr Powers hat mich gebeten, ein paar Aufnahmen vom Zug, den Leuten und so weiter zu machen«, erklärte er. »Wir können sie uns später ansehen, meint er. Vielleicht kommen wir dabei auf neue Ideen für den Film.«
»Und Sie können bei der Gelegenheit ja auch die Trauung aufnehmen«, schlug Tom vor.
Kristobal seufzte. »Mr Powers hat mich tatsächlich darum gebeten. Aber habe ich dafür die Filmakademie besucht? Um Hochzeiten mitzuschneiden? Wäre ich ein Star und hätte meinen eigenen Waggon, wäre genau das der Punkt, an dem ich streiken würde. Ich würde meinen Agenten anrufen und mich nicht mehr blicken lassen.« Er fügte hinzu: »Ach ja, Eleanor bat mich, Sie zu fragen, was Sie zu der Trauung tragen.«
»Sie hat Sie gebeten, mich zu fragen? Okay, sagen Sie ihr, ich trage was von Armani. Ich trage immer Armani auf Eisenbahnhochzeiten. Das weiß sie doch.«
Kristobals Miene hellte sich auf. »Cool. Ich trage auch Armani.« Er schwenkte die Kamera herum und suchte ein anderes Motiv.
Der Chief rollte zügig nach Südwesten und hielt insgesamt viermal in Illinois, ehe er den mächtigen Mississippi auf einer langen, doppelstöckigen Drehbrücke überquerte, die im Jahr 1927 erbaut worden war. Sie befanden sich jetzt in Iowa. In diesem Staat hielt der Zug nur in Fort Madison, wo sie gegen halb acht eintrafen. Als sie dann Richtung Missouri weiterfuhren, begab Tom sich in den Speisewagen, wo er zusammen mit Father Kelly und Misty seine Mahlzeit einnahm. Steve und Julie saßen am Tisch hinter ihnen und redeten über die bevorstehende Trauung.
Eleanor, Max und Kristobal fehlten. Und Agnes Joe hatte Tom noch gar nicht zu Gesicht bekommen.
Er schaute Misty fragend an. »Sie und Max scheinen sich ja bestens zu verstehen. Auch wenn er ein Mann sein dürfte, der jede Menge Freundinnen hat.«
»Ach, Schätzchen, ich weiß, dass es nur was Vorübergehendes ist. In Zügen finden die unterschiedlichsten Menschen zueinander, aber sobald die Reise zu Ende ist, verfliegt auch der Zauber. Und ich bin längst darüber hinaus, mein Herz an einen Mann zu hängen, falls Ihre Gedanken sich in diese Richtung bewegen.«
»Das tun sie.«
Misty wiegte den Kopf. »Was meinen Sie, was ich Ihnen über die treulose männliche Spezies erzählen könnte.« Sie streifte den Priester mit einem Seitenblick. »Und ich würde es auch erzählen, wenn Sie nicht hier säßen.« Sie kniff Father Kelly schelmisch in eine Wange, und er schien diese Form der Aufmerksamkeit zu genießen.
»Ich muss Ihnen etwas gestehen«, sagte der Priester zu Steve und Julie. »Ich habe noch nie an einer Trauung in einem Zug teilgenommen. Das ist bestimmt das erste Mal, dass so etwas stattfindet.«
»Ist es nicht.«
Sie blickten auf die andere Seite des Mittelgangs, wo Herrick Higgins sein Abendessen einnahm.
»Das hat es 1987 schon mal gegeben, auf dem Texas Eagle. Er fährt von Chicago nach LA, allerdings über Texas. Man nannte ihn den Love Train. Seine Route ist noch länger als die des Chief.«
»Der Love Train?«, fragte Julie. »Wie ist er zu dem Namen gekommen?«
Higgins schwang die Beine zur Seite und streckte sie in den Gang. Während er erzählte, trank er hin und wieder einen Schluck Kaffee.
»Auf dem Eagle gab es einen legendären Schaffner namens Zeb Love. Der Mann war ein Unikum. Er hatte ein Herz aus Gold und war ein Weltklasse-Entertainer. Zu Weihnachten verkleidete er sich gern als Santa Claus und verteilte an die Kinder
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