Das Geschenk: Roman
anständigen Lunge und ’ner richtigen Stimme .« Sie holte tief Luft und sang einen Ton, so hoch und kräftig, dass Tom unwillkürlich die Kaffeetasse fester hielt, um zu verhindern, dass die Schallwellen sie auseinander platzen ließen.
Max’ Kopf ruckte hoch, sodass es aussah, als würde sein Kinn von der Brust wegspringen. »Ich werde es mir für den nächsten Film zu Herzen nehmen«, versprach er.
»Ja, tun Sie das, Baby. Meine Leute werden mal mit den Ihren reden, nur habe ich leider keine Leute außer zwei halbwüchsigen Enkeln mit Riesenfüßen, die mir die Haare vom Kopf fressen. Preis sei dem Herrn, der mich erhält oder wenigstens dafür sorgt, dass die Jungs immer satt werden.« Sie sah ihre Tochter an. »Sag mal, Regina, musst du dich nicht um einen Zug kümmern? Meinst du, der gute alte Cap kann sich ohne deine Hilfe allein wieder auf Vordermann bringen? Meinst du, Amtrak zahlt dir gutes Geld dafür, dass du herumsitzt und zuhörst, wie deine alte Ma sich das Maul zerreißt, Töchterchen?«
»Ich geh ja schon«, sagte Regina lächelnd. Daran, wie Roxanne ihrer Tochter hinterherschaute, erkannte Tom, dass sie eine sehr stolze Mutter war.
Roxanne wandte sich wieder ihren Schäfchen zu. »Regina hat mir außerdem verraten, dass ein Paar bei uns ist, das den Bund fürs Leben schließen will, und dass eine alte Wahrsagerin namens Misty uns begleitet. Überdies kam mir zu Ohren, dass die Schlange und der nackte Anwalt nicht mehr bei uns sind, was mir unendlich Leid tut. Ich meine nicht den nackten Anwalt – ich komme ganz gut ohne dessen Anblick aus –, ich meine die Boa constrictor. Es gibt auf einer langen Eisenbahnfahrt nichts Besseres als eine Boa constrictor, um sich die Füße daran zu wärmen. Mein lieber verstorbener Ehemann, Junior, hat mich geliebt, mir aber nie die Füße gewärmt. An so etwas denken Männer nicht. Also, vom Standpunkt der Frau aus betrachtet, fehlt einem nichts mehr zum Glück, wenn man einen liebenden Mann und eine reizende kleine Schlange hat. Preiset den Herrn! Und jetzt erzählen Sie mal, was passiert ist. Ich muss es unbedingt hören.«
Tom übernahm das Erzählen, und alle amüsierten sich auf Gordon Merryweathers Kosten. »Betrachten Sie es als vorgezogenes Weihnachtsgeschenk für Amtrak«, schloss Tom.
Roxanne hob den Kopf. »Ich dachte, Sie wären im New-Orleans-Zug unterwegs nach Hause, Baby.«
Alle wandten sich um und wollten sehen, wen sie meinte: Es war Misty in voller Wahrsagerinnenmontur, die nun ihre Arme zur Decke hob. »Ich hatte so eine Vorahnung, dass meine Bestimmung während des diesjährigen Weihnachtsfestes irgendwo im Westen liegt anstatt im Süden. Was meinen Sie, Schätzchen?« Sie blickte Max an und klimperte vielsagend mit den Wimpern.
Der Regisseur lächelte und meinte: »Mir wurde noch nie so erschöpfend die Zukunft geweissagt wie in der vergangenen Nacht.«
»Ich bin bloß eine bescheidene Dienerin der geheimnisvollen Mächte der Sterne, Max.«
Eleanor starrte verblüfft den offensichtlich bis über beide Ohren verknallten Regisseur an; dann blickte sie zu Kristobal, der lediglich die Achseln zuckte und murmelte: »Ich bin nicht der Tugendwächter meines Brötchengebers.«
»Wie geht es Ihnen, Misty?«, erkundigte sich Roxanne. »Wissen Sie noch, was Sie mir das letzte Mal vorhergesagt haben, als wir uns begegnet sind?«
»Dass die Zahl 153 eine ganz besondere Bedeutung hat und dass Sie in Ihrem Leben noch eine Menge junger Männer treffen werden?«
»Genau. Nun, Liebes, ist es tatsächlich eingetreten.«
»Haben Sie je daran gezweifelt?«
»Falls ja – jetzt bestimmt nicht mehr. Doch um die Wahrheit zu sagen, Schätzchen, hatte ich auf etwas gehofft, das eher in meinem Alter ist.« Sie deutete auf die Tür der Wartehalle, durch die eine Gruppe junger Farbiger in Uniform hereinströmte.
Roxanne erhob sich. »Das ist der Los Angeles Boys’ Center Choir. Diese Knaben sind in der Carnegie Hall aufgetreten und wollen jetzt über Weihnachten nach Hause. Es ist meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie heil dort ankommen. Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
Während sie sich entfernte, kreuzte Agnes Joe ihren Weg. »Wie geht es Ihnen, Agnes Joe? Ich habe Ihr übliches Abteil im Chief schon vorbereitet.« Sie musterte Agnes Joe und fügte hinzu: »Allmählich machen Sie mir Sorgen. Wenn Sie noch mehr abnehmen, Mädchen, brauche ich irgendwann Hilfe, Sie zu finden.«
Die anderen beobachteten, wie Roxanne zu den aufgeregt
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