Das Geschenk: Roman
vor dem Fenster, in meinen Kleidern, im Essen. Ich habe sogar welche in meiner Pepsi light gesehen!«
»Ich weiß, ich weiß. Ich wusste, dass du in diesem Zug bist, und deshalb hab ich Antidämonenpulver mitgenommen. Diese Mischung macht garantiert jeden Dämonen fertig, egal wie groß er ist.« Sie reichte ihm eine Tüte, die sie aus der Tasche zog. »Aber bestreue bloß nicht dich selbst mit dem Pulver, Ernest, und auch niemand anders! Du darfst es nicht vergeuden, denn mehr habe ich nicht.«
»Danke, Roxanne! Danke, danke! Du bist die Einzige, die mich versteht.«
Ernest entfernte sich und bestreute sich dabei.
Eleanor schüttelte den Kopf. »Das hört sich an, als bräuchte der arme Junge fachkundige Hilfe.«
»Das dachte ich anfangs auch, aber er will wohl nur Aufmerksamkeit erregen. Soviel ich weiß, hat er keinen Menschen. Er fährt seit Jahren mit diesem Zug und tut niemandem was zuleide. Er schlurft nur herum und sieht ein bisschen verrückt aus, aber ich glaube nicht, dass er wirklich irre ist. Er kleidet sich wie ein Penner, aber diese Zugfahrt kostet mehr, als ein Penner sich leisten kann – und glauben Sie mir, von der Sorte kenne ich eine Menge. Ich habe herausgefunden, dass Ernest als Ingenieur in einem Unternehmen in San Diego arbeitet. Er ist einer von denen, die nie viele Freunde hatten. Und jetzt, wo er fünfundvierzig ist, weiß er nicht, wie er noch Freunde finden soll. Ich habe viel mit ihm zusammen gesessen. Er ist ein intelligenter Bursche und kann sich gut ausdrücken, aber sein Hirn arbeitet nun mal anders als meins oder Ihres. Wenn Ernest in den Chief steigt, zieht er zuerst diese Dämonennummer ab. Haben wir das überstanden, ist alles ganz normal.«
»Was meinen Sie, warum er so oft mit dem Zug fährt?«
»Tja, keiner ist gern allein, vor allem nicht zu Weihnachten. Sie wissen bestimmt, dass während der Feiertage die Selbstmordrate am höchsten ist. Außerdem ist der Chief um diese Jahreszeit kein richtiger Reisezug. Er ist eine Art Club fremder Menschen, die alle einen Freund suchen.«
Eine aufgeregt wirkende ältere Frau kam eilig auf Roxanne zu und wedelte mit ihrer Fahrkarte. »O Gott, ich weiß nicht, wohin ich fahre.«
»Immer mit der Ruhe, Schätzchen. Verraten Sie mir erst mal, wohin Sie wollen, und dann sehen wir, was wir tun können.«
»Denver«, antwortete die Frau.
»Denver, okay. Dann müssten Sie im Zephyr sitzen und nicht im Chief. Der Chief fährt nach LA, aber nicht über Denver. Es wundert mich, dass man Sie überhaupt in diesen Zug gelassen hat.«
»Ich glaube, das war ich selbst. Ich bin einfach in den falschen Zug gestiegen.«
»Gut möglich. Der Zephyr fährt ebenfalls in Chicago ab.«
»Ich kann’s nicht fassen, dass mir so was passiert ist. Meine Tochter und ihre Familie erwarten mich zu Weihnachten! Sie wollte rüberfliegen und dann mit mir zusammen wieder zurück. Aber ich habe Angst vor dem Fliegen, und mein Mann lebt nicht mehr. Meine Tochter meinte, dass mein Verstand nicht mehr reicht, um allein zu reisen, und offenbar hat sie Recht.«
»Aber, aber. Ihre geistigen Fähigkeiten haben immerhin ausgereicht, dass Sie zu mir gekommen sind und mich um Hilfe gebeten haben, nicht wahr?«
»Ja, sicher, aber wenn ich nicht in Denver ankomme, weiß meine Tochter, dass sie Recht hat. Dann werden sie und ihr Mann mir ständig sagen: ›Siehst du, wir haben es dir ja gleich gesagt!‹«
»Wer behauptet denn, dass Sie nicht rechtzeitig zu Weihnachten in Denver sind?«, fragte Roxanne.
»Aber ich bin doch im falschen Zug.«
»Im Augenblick schon, aber wir setzen Sie in den richtigen.«
»Das verstehe ich nicht. Wie soll das gehen? Dieser Zug fährt doch nach Los Angeles.«
»In Kansas City steigen Sie in einen Verbindungszug nach Omaha um. Der Zephyr hält planmäßig in Omaha, und Sie erwischen ihn ganz bequem. Dann fahren Sie von dort gemütlich weiter nach Denver. Überhaupt kein Problem. Ich organisiere alles Nötige und komme Sie holen, wenn wir heute Abend in Kansas City eintreffen.«
Die Frau wusste gar nicht, wie sie Roxanne für ihre Hilfe danken sollte. Nachdem sie auf ihren Platz zurückgekehrt war, sagte Roxanne: »Ständig kommen Leute, die nervös sind und sich wegen wer weiß was Sorgen machen. Man muss nur ihre Körpersprache verstehen, ihre Probleme lösen, ihr Interesse wecken und sie auf irgendeine Weise beschäftigen. Wenn Kinder und Eltern gemeinsam reisen, muss man sofort mit den Kindern reden, nicht mit den Eltern. Gerade die
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