Das Geschenk: Roman
zwinkerte ihm zu. »Padre, mein Abteil ist eine einzige Tränke.« Er sagte den anderen, wann die Party steigen sollte.
Tom erhob sich. »Ich werde da sein«, versprach er.
Max nickte ihm zu. »Wenn Sie jetzt schon einen Schluck wollen, gehen wir in mein Abteil. Bei der Gelegenheit können wir uns ein wenig unterhalten.«
»Nein, ich mache einen kleinen Spaziergang.«
»In einem Zug?«, rief Kristobal entgeistert. »Was gibt es denn in einem Zug zu sehen?«
»Sie würden sich wundern«, erwiderte Tom, während er hinausging.
Er schlenderte den Gang hinunter. Der Salonwagen war fast noch voll besetzt, im Speisewagen wurde die letzte Mahlzeit des Tages serviert, und die Fahrgäste waren in aufgeräumter, festlicher Stimmung; deshalb standen viele Schlafwagenabteile leer. Es war der ideale Zeitpunkt für den Dieb, abermals zuzuschlagen. Tom wollte herausfinden, ob der Gauner aus dem Capitol Limited in den Southwest Chief umgestiegen war. Außerdem wollte er sich ein ganz bestimmtes Abteil näher ansehen …
Er klopfte. Als niemand antwortete, schob er den Kopf in Agnes Joes Abteil. Zum Glück konnte die Tür nicht von außen verriegelt werden. Das Abteil war leer. Das Grammophon stand auf dem Klapptisch, wie zuvor schon im Capitol Limited. Die Kabine war aufgeräumt; nur ein paar persönliche Dinge lagen herum. Am Kopfende der Couch lehnten zwei aufgeschüttelte Kissen an der Wand; daneben lag eine säuberlich zusammengefaltete Decke. An einer Wand standen zwei Reisekoffer. Tom kümmerte sich nicht um die Koffer. Er war mehr an der Reisetasche interessiert, die – wie schon im Cap – zwischen Wand und Stuhl gezwängt war. Und auch jetzt wieder lag eine Decke darauf und verbarg die Tasche fast vollständig.
Tom schaute in den Gang; dann zog er den Vorhang zu und öffnete den Reißverschluss der Tasche. Statt des Diebesguts fand er etwas völlig Unerklärliches: Es waren zusammengeknüllte Zeitungen, ähnlich denen, die Regina durch den Capitol Limited getragen hatte. Tom warf einen kurzen Blick darauf. Es waren verschiedene Ausgaben von Blättern, die an der Ostküste erschienen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen und wühlte weiter in der Tasche, bis er ein Foto von Agnes Joe mit einer jungen Frau entdeckte, in der er ihre Tochter vermutete. Ganz sicher konnte er jedoch nicht sein, denn die beiden Frauen hätten unterschiedlicher nicht aussehen können. Die jüngere war größer als Agnes Joe und eins der schönsten Geschöpfe, die Tom je gesehen hatte – schlichtweg atemberaubend. Sie trug ein Zirkustrikot; demnach entsprach wenigstens der größte Teil von Agnes Joes Geschichte der Wahrheit. Tom suchte nach einem Datum auf dem Foto, schaute vorn und auf der Rückseite nach, aber es gab keines. Agnes Joe sah so aus, wie er sie zu Beginn der Reise kennen gelernt hatte, also konnte das Bild noch nicht sehr alt sein. Die beiden Frauen auf dem Foto machten einen glücklichen Eindruck, zumindest schienen sie einander zugetan zu sein. Er fragte sich, was schief gelaufen war, seit man das Foto aufgenommen hatte, sodass Agnes Joe das Weihnachtsfest nicht bei ihrem einzigen Kind verbrachte.
Da Tom nicht das Risiko eingehen wollte, ertappt zu werden, legte er das Foto in die Tasche zurück und schlüpfte auf den Gang. Er ging bis zum anderen Abschnitt der Schlafabteile, blieb stehen, drückte sich in ein freies Abteil und blickte vorsichtig auf den Gang hinaus. Agnes Joe erschien aus einem der Abteile. Sie blickte sich argwöhnisch um, wie Tom es zuvor getan hatte. Sie schien nichts bei sich zu tragen, doch es konnte sein, dass sie etwas in den Taschen verstaut hatte. Agnes Joe entfernte sich in die entgegengesetzte Richtung. Tom verließ sein Versteck, ging eilig über den Gang und warf einen Blick in das Abteil, in dem Agnes Joe gewesen war. Doch er entdeckte nichts, das Rückschlüsse darauf erlaubte, um wessen Abteil es sich handelte. Tom wollte gerade die Kabine betreten, um etwas über deren Benutzer in Erfahrung zu bringen, als er hörte, wie jemand sich näherte. Sofort verließ er den Ort des Geschehens, merkte sich jedoch den Buchstaben des Abteils, um herauszufinden, wer darin untergebracht war.
Als er durch den Waggon schlenderte, kehrten seine Gedanken zu einer anscheinend einsamen Frau mit aufdringlichem Gebaren und der seltsamen Angewohnheit zurück, alte Zeitungen zu sammeln und in die Räumlichkeiten fremder Leute in einem fahrenden Zug einzudringen. Toms Reise zwecks Selbstfindung und
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