Das geschwaerzte Medaillon
stand ich wie in Trance auf. Zog eine schwarze Jeans an, ein schwarzes Top und meine Stiefel. Ich steckte die Dolche in die Stiefel und griff an der Tür nach meiner schwarzen Lederjacke. Ich dachte nicht. Zumindest nicht mehr als diesen einen Gedanken.
»Sie haben Craig.«
Das Amulett hing schwer um meinen Hals, als ich im Aufzug den Knopf für die Lobby drückte. Eine fröhliche Musik tönte aus den Lautsprechern in den beiden hinteren Ecken des Fahrstuhls. Sie war unerträglich fröhlich und ich befand mich im achtunddreißigsten Stockwerk. Noch bevor ich wusste, was ich tat, zog ich mit einer schnellen Bewegung die Dolche hervor und warf sie im siebenunddreißigsten Stockwerk auf die Lautsprecher. Für eine Sekunde entstand ein kleiner Funkenregen und das Quietschen von sterbenden Tönen, dann war Ruhe. Mit einem Ruck zog ich die Dolche aus den Lautsprechern und steckte sie zurück an ihren Platz. Der Fahrstuhl hielt in vier weiteren Stockwerken, doch wenn die Personen mich sahen, sobald die Türen beiseite glitten, entschieden sie sich dafür, die Treppe zu nehmen oder auf den nächsten Aufzug zu warten. Als die Tür das fünfte Mal beiseite glitt, breitete sich vor mir die weite Lobby aus. Sie war gesäumt von Bildern und viel zu vielen Pflanzen. Rechts ging es zur Bar und links zu einem Ballsaal oder etwas Ähnlichem, das hatte ich zumindest alles gestern Abend gesehen. Jetzt sah ich nur die Tür, die hinaus in den blutigen Morgen führte.
»Miss Al ...«, eine junge Frau an der Rezeption sprach mich an, verstumme jedoch sofort, als ich ihr mein Gesicht zuwandte. Ich sah meine Reflexion in dem Glas der Drehtür. Es war kein Wunder, dass die Leute mir lieber aus dem Weg gingen. Mein Gesicht zeigte keine Regung. Kein Zeichen, dass ich irgendwie am Leben war. Das Unheimlichste jedoch waren meine Augen. Sie waren rot. Meine eigentlich eisblaue Iris schimmerte blutrot. Genauso wie die Partie um meine Augen. Ich wäre mir auch aus dem Weg gegangen, hätte ich mich gesehen.
Die Straßen waren wie tot. Kein weiterer Mensch begegnete mir, während die roten Sonnenstrahlen zwischen den Häusern in Zeitlupe hervor krochen. Entweder war die Zeit stehen geblieben oder ich bewegte mich einfach außerhalb von ihr. Der Himmel war nicht weniger rot, als ich in die Straße einbog, die mein Ziel war. Ich erspähte das Haus des Ordens, noch bevor es wirklich in Sichtweite kam. Es war noch eingefallener als das letzte Mal. Der Putz war fast vollständig verschwunden und jedes Fenster war eingeschlagen. Es war nicht mehr als eine Bruchbude, die jeden Moment zusammenzubrechen schien. Ich riss förmlich das Brett beiseite, das vor der Eingangstür angebracht war. Als ich das Haus betrat, glitt ich von selbst in die Seelensicht. Ich sah nun durch einen roten Schleier. Nicht einmal das holte mich aus meiner Trance zurück. Ich dachte nicht. Ich reagierte nicht. Ich funktionierte. Ich funktionierte in einer unmenschlichen Weise. Ich schob jedes noch so schwere Brett von jedem Fenster weg und erlaubte dem purpurnen Licht des Sonnenaufgangs das Haus zu durchfluten. Zusammen mit dem roten Schleier der Seelensicht war es, als würde ich durch Blut waten. Ich lief durch jeden Raum und verursachte mit jedem Schritt das Knirschen von zertretener Erde. Im Keller wurde ich schließlich fündig. Ein Riss hatte den Boden gespaltet und den größten Teil des Raumes verschluckt. Noch bevor ich wusste, was ich tat, sprang ich in die Dunkelheit hinein. Ich landete ungewöhnlich sicher auf meinen Füßen und verletzte mich dabei nicht einmal.
Ich war schneller auf dem Boden aufgekommen, als ich erwartet hatte. Ein schwaches Flackern in der Ferne zog mich an. Ich bewegte mich durch eine Art Tunnel. Er war gerade hoch genug, dass ich aufrecht gehen konnte. Ich sah nicht eine einzige Seelenenergie. Der Tunnel erstreckte sich vor mir und war, wie alles, in das Rot der merkwürdigen Seelensicht getaucht. Ich lief immer weiter dem Flackern entgegen, bis ich vor einer primitiven Fackel stand, die an der Wand angebracht war. Das Licht wirkte unwirklich. Irgendetwas daran war nicht normal. Ich streckte die Hand aus. Das Feuer loderte um sie herum. Ich spürte nichts weiter als ein kaum wahrnehmbares Kribbeln. Weiter hinten im Gang erspähte ich eine weitere Fackel. Ich zog meine Hand zurück und ging weiter. Immer dem nächsten Licht entgegen. Der Tunnel wurde breiter und breiter. Die Wände waren glatt. Doch auf dem Boden waren überall Erdklumpen, wie
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