Das Gesetz der Vampire
man ihn für tot erklären und Tante Sally es als seine einzige noch lebende Verwandte erben.
Nicht nur deshalb widerstrebte es ihm, sein bisheriges Leben so vollständig aufzugeben – auszulöschen –, denn gegen seinen Willen hatte er neue Hoffnung geschöpft, dass es Sam tatsächlich gelingen mochte, ihn zu heilen, auf welche Weise auch immer. Doch auch in dem Fall musste er irgendwo völlig neu anfangen. Er konnte es nicht mehr mit seinem Ehrgefühl vereinbaren, danach wieder bei PROTECTOR zu arbeiten. Falls die ihn in dem Fall überhaupt noch wollten, nachdem sie ihn derart hintergangen hatten. Er konnte sich mit Harry zusammentun und besagte Detektei eröffnen. Am besten in Baltimore, um Stevie nahe zu sein.
Doch würde das Band, das zwischen ihnen bestand und das Ashton mit jedem Tag stärker zu spüren begann, die Rückverwandlung überstehen oder dadurch vollständig ausgelöscht werden? Falls ja, wäre es das wert? Ashton machte sich keine Illusionen darüber, dass ein solches Band überaus selten und kostbar war und unzählige Leute – Menschen wie Vampire – alles dafür gegeben hätten, um eine so innige Verbundenheit mit einem Partner oder einer Partnerin auch nur ein einziges Mal fühlen zu können. War es das Menschsein wirklich wert, etwas so Wundervolles aufzugeben? Andererseits hatte Stevie selbst gesagt, dass auch die längsten Beziehungen unter Vampiren nicht ewig Bestand hatten. Waren ein paar Jahre oder Jahrzehnte Glück es wirklich wert, das Menschsein dafür für immer aufzugeben?
Seine Gedanken wurden unterbrochen, als er die Anwesenheit einer dritten Person im Haus wahrnahm, die schlagartig aufgetaucht war. Das konnte nur Sam sein. Ashton fühlte unwillkürlich einen kalten Klumpen im Magen. Gleich darauf hörte er Sean nach ihm rufen und ging hinunter ins Wohnzimmer, wo der alte Vampir neben der Dämonin stand, die einen überaus zufriedenen Eindruck machte.
»Gute Neuigkeiten, Ashton«, empfing Sean ihn lächelnd.
»In der Tat«, stimmte Sam ihm zu. »Deiner erneuten Menschwerdung steht nichts mehr im Wege. Meine Experimente hatten Erfolg, und ich kann dich und jeden anderen verwandelten Vampir jederzeit wieder zurückverwandeln. Sofort, wenn du willst.«
Ashton stand wie vom Donner gerührt und wusste nicht, was er sagen sollte. Mehrere Sekunden lang waren seine Gedanken und Gefühle ein wirbelndes Chaos, in dem er sich nicht zu orientieren vermochte. Sowohl Sean wie auch Sam spürten das.
»Ich lasse euch beide allein«, entschied der alte Vampir, nickte Ashton aufmunternd zu und verschwand kommentarlos in seinem Arbeitszimmer.
Ashton war ihm äußerst dankbar dafür, dass er keinen Versuch unternahm, seine Entscheidung in irgendeiner Weise zu beeinflussen oder darauf zu drängen, dass er jetzt endlich eine traf. Auch Sam tat das nicht. Sie setzte sich unaufgefordert in einen Sessel.
»Ich weiß, das kommt etwas plötzlich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich habe auch nicht damit gerechnet, dass das Prinzip so einfach sein würde. Die Umwandlung selbst erfordert natürlich eine gewisse Zeit und entsprechende Anstrengung meinerseits, aber das Prinzip selbst ist wirklich simpel. Jedenfalls, Ashton, kannst du jetzt wieder ein Mensch werden. Es tut auch nicht weh, mein Wort darauf.« Sie blickte ihn fragend an. »Bereit, wenn du es bist«, fügte sie hinzu und wartete schweigend auf seine Antwort.
Er atmete einmal tief durch und musste sich ebenfalls setzen. »Das kommt in der Tat überraschend«, gab er zu und empfand einen unerklärlichen Anflug von Furcht. »Du bist dir vollkommen sicher, dass es funktioniert?«
Sam nickte. »Absolut. Wann wollen wir beginnen? Ich komme gern zu einem anderen Zeitpunkt wieder, wenn du noch ein bisschen Bedenkzeit brauchst.«
Ashton konnte es immer noch nicht fassen, dass sein sehnlichster Wunsch in Erfüllung gehen würde und er wieder ein ganz normaler Mensch werden konnte. Jetzt . Er würde in wenigen Stunden die Sonne wieder aufgehen sehen können, ohne dass sie ihn verbrannte, würde sein altes Leben zurückbekommen und seine Existenz als Vampir irgendwann nur noch als eine albtraumhafte Episode betrachten. Bis auf die Dinge, die Stevie betrafen, deren Herz brechen würde, wenn sie Ashton eines Tages verlor. Doch sie würde mit der Zeit darüber hinwegkommen; das hatte sie selbst gesagt. Davon abgesehen konnten sie einander auch lieben, wenn Ashton wieder ein Mensch war.
Ein Mensch! Schwach, verwundbar, krankheitsanfällig, alternd
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