Das Gesetz der Vampire
fürchte nein. Es war dunkel. Er war recht groß, glaube ich. Und er trug eine Skimaske. An mehr erinnere ich mich nicht.«
Die Polizistin gab sich damit zufrieden. »Sie haben großes Glück gehabt, Miss Morris. Die Spurensicherung hat auf Ihrem Balkon eine Art Leichenstaub gefunden.«
Vincents Asche. Oder was immer es war, das von Vampiren übrig blieb . »Was wollen Sie damit sagen? Dass der Kerl vorher auf einem Friedhof war und ...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
»Ich will nur sagen, dass Sie Glück gehabt haben.« Sie reichte Rebecca eine Visitenkarte. »Hier ist die Nummer einer Psychologin, die sich auf solche Fälle spezialisiert hat. Sie sollten sie aufsuchen.«
»Vielen Dank«, antwortete Rebecca. Sie brauchte keine Psychologin. Sie wollte so schnell wie möglich hier raus, um ihre Rache an Ashton Ryder in die Tat umzusetzen. Je eher sie das erledigt hatte, desto eher konnte sie Vincent in den Tod folgen.
***
Ashton kehrte am Morgen nach Cronos’ Vernichtung nach New York zurück. Er legte den Pfeil, mit dem er den Vampir zur Strecke gebracht hatte, auf Marys Grab. Sie würde nun endlich Frieden finden, und er hoffte, dass das auch auf ihn selbst zutraf. Er machte von Shepherds Urlaubsangebot Gebrauch und gönnte sich eine Woche in der Karibik, lag an Sandstränden unter Palmen, schwamm im Meer und versuchte, sich auf die Zukunft zu konzentrieren. Es gelang ihm nicht. Stattdessen fühlte er sich zunehmend wie ein Ballon, aus dem man die Luft abgelassen hatte: schlaff, antriebslos, gleichgültig und desinteressiert.
Er hatte nur Vampire gejagt, um Marys Mörder zu vernichten. Mit Cronos’ Tod bedeutete ihm die Jagd nach ihnen nicht mehr allzu viel. Zwar sagte ihm sein Verstand, dass die Arbeit für PROTECTOR – nicht nur die Jagd nach Vampiren – eine lohnende Aufgabe war und blieb, mit der er vielen Menschen half. Aber die Argumente des Verstandes erreichten sein Herz nicht.
Trotzdem kehrte er eine Woche später nach Hause zurück und nahm seine gewohnte Tätigkeit wieder auf. Die Arbeit musste weitergehen, und seine Kollegen verließen sich auf ihn. Außerdem würde der Tagesablauf, der seit zehn Jahren seine Routine bildete, die Leere in ihm mit der Zeit bestimmt füllen.
Denn Zeit hatte er ja mehr als genug, seit niemand mehr zu Hause auf ihn wartete.
***
Patrick O’Hara wunderte sich nicht, als er auf ein stürmisches Klingeln seine Wohnungstür öffnete und Rebecca Morris davor fand. Er lud sie mit einer Kopfbewegung ein einzutreten und sie stürmte an ihm vorbei in sein Wohnzimmer.
»Vincent ist tot!«, platzte sie heraus.
Vincent hatte ihr Patrick einmal als einen guten Freund vorgestellt, und sie mochte den – verglichen mit Vincent sehr jungen – Vampir gut leiden. Jetzt hoffte sie auf seine Hilfe für ihren Racheplan.
»Ich weiß«, antwortete er verkniffen. »Das hat sich schon herumgesprochen. Ich nehme an, es war ein Jäger.«
»Sein Name ist Ashton Ryder, und ich will ihn leiden sehen.«
Patrick ließ sich in einen Sessel fallen und schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet Ryder, der Schlimmste unter ihnen.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber ein anderer Jäger hätte Vincent wohl kaum erwischt.«
So wie PROTECTOR minutiös Buch führte über jeden Vampir, von dem sie Kenntnis erhielten, so führten auch die Wächter der Vampire Buch über jedes PROTECTOR-Mitglied, das in die Reihen der Jäger aufgenommen wurde. Die Wächter wussten nahezu alles über die Betreffenden, von ihrer Geburt über ihren gesamten Werdegang bis hin zum aktuellen Familienstand, Adresse und was sonst noch nützlich sein konnte. Allerdings hielten sie diese Protokolle bestens unter Verschluss und hüteten sie wie ihren Augapfel. Doch ein formidabler Jäger wie Ashton Ryder erwarb sich natürlich auch ohne Informationen von den Wächtern einen entsprechenden Ruf unter den Vampiren.
»Ich kann dich gut verstehen, Rebecca. Aber mal abgesehen davon, dass Ryder seit Jahrzehnten der schärfste Jäger ist, der uns heimsucht, haben wir den Befehl bekommen, uns bedeckt zu halten. Der Alte will sich selbst um ihn kümmern. Ich würde dir außerdem nicht raten, dich auf eigene Faust mit Ryder anzulegen. Du bist nur ein Mensch ohne jede Kampfausbildung, und er ist dir definitiv überlegen.«
»Genau«, stimmte Rebecca ihm zu. »Deshalb will ich die Verwandlung.«
Patrick starrte sie mit offenem Mund sekundenlang an, ehe er ihn geräuschvoll wieder zuklappte. »Rebecca«, sagte er nachsichtig, als
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