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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Guck-in-die-Luft. Die gute Frau sollte etwas vorsichtiger sein; der Ortsgruppenleiter könnte sowas auf richtige Weise falsch verstehen, schließlich wächst die Zahl derer, die eher Phantome als Phänomene vor Augen haben – was ja nun auch zutrifft in höheren, ja höchsten Rängen.
    Einzelheiten über das Vater-Tochter-Gespräch am Mirower See? Gerda mokierte sich über ein Mädchen, etwa in ihrem Alter, das ins Bett pieselte, regelmäßig. War im LSR wohl zu lang oder zu oft zwischen Erwachsenen eingepfercht gewesen, die am ganzen Leibe zitterten oder durcheinanderschrien, wenn der Keller schwankte, das Licht ausfiel. Das Mädchen wurde vor versammelten »Splitterkindern« von der Heimleiterin zurechtgewiesen; als das nicht fruchtete, musste sich der »Schwächling« auf den Bauch legen, die Kinder der Gruppe mussten ihr, aufgereiht heranrückend, jeweils einen Schlag auf den Po geben, nicht bloß einen Klaps, sondern einen Hieb – »dass man es hört!«. Ich habe den Namen der Leiterin vorgemerkt.
    Und sonst? Morgens gibt es Suppe. Gerda zählt an den Bläschen ab, wie viele Zeilen ihr Vater schreiben wird, beim nächsten Mal. Diesmal sind es siebzehn. Das Stichwort ist gegeben, ich werde die Bitte gleich anschließend erfüllen.
    Nun werden Sie fragen: Und die Mutter – wird bloß mal erwähnt? Die Antwort tippe ich selber, Marita hat ihr Tagespensum erfüllt, das Postskript wird morgen früh mit gleicher Kurierpost zugestellt – unser Kradfahrer muss den Schein anhaltender Betriebsamkeit, sprich: Pflichterfüllung aufrechterhalten. Was gleich mit dem Geständnis verbunden werden muss, mündlich bereits angedeutet: Das Terrain, das ich dienstlich beackere, wird immer enger. Verbindungen der Reichspost zu ausländischen Botschaften reißen ab, Amt A schaltet (ungefragt, unaufgefordert) sukzessiv um auf Inlandsdienst – solange unser Dienstherr kein Veto einlegt.
    Verdüsterung in Bad Oldesloe. Gründe für Befürchtungen mehr als genug in West und Ost. Wir werden, wie der Führer bei einer Lagebesprechung kürzlich eingestanden haben soll, »zusammengepresst«. Mal sehn, was außer Blut dabei herauskommt.
    In ihren zumeist knappen Briefen geht Charlotte auf die Gesamtschieflage nicht weiter ein – wohl auch mit Blick auf die Briefüberwachung. Doch Rückwirkungen der Gesamtmisere sind deutlich. Böse Träume, die sie fast regelmäßig heimsuchen.
    Etwa: Sie geht auf einer Straße, die ganz und gar nicht der Brachvogelstraße gleicht – eine staubige Straße mit weiß und ocker und hellblau gestrichenen Fassaden, ungefähr wie in Portugal. Keine Autos, keine Menschen. Sie kommt an einem Zaun vorbei, Maschendraht, verrostet; hinter dem Zaun eine weite Schuttfläche, hohe Trümmerhalde; vor dem Zaun tote Raben. Nein, keine Krähen, keine Dohlen, so Charlotte, es müssen Raben gewesen sein, den Schnäbeln nach. Etwa sechs, acht tote Raben an jenem Zaun entlang. Das Gefieder, sonst schwarz glänzend, es ist stumpf und struppig. Und bei jedem der toten Raben ist die Bauchfläche, ja, wie gehobelt. Auf diesem Wort bestand Charlotte: Die Bauchflächen wie gehobelt. Federn weg; Rabenfleisch nur noch hauchdünn über winzigen Rippen. Ein Rabe wie der andre: mit blutigroter Bauchfläche. Auch die Unterseiten der Schnäbel blutrot. Lässt sich ein Rabenschnabel blutig anhobeln? Wie auch immer: rote Bauchflächen, rote Schnabelunterseiten. Dieses Bild wird sie nicht mehr los. Und es überträgt sich, setzt sich fest.
    Und damit ein Gruß hinaus zum germanischen Herrensitz in der Schorfheide.

    Lieber Borowski, heute wird es (wieder) ernst. Unser Amtsleiter (angesichts der Gesamtentwicklung erst recht auf Nennung von Rang und Namen bestehend, also: Oberst der Luftwaffe Clemens Prinz von Hessen-Nassau) hat erneut betont, dass der Empfang von Abhörprotokollen in Hubaleks Quittungsbuch
sowie
auf der roten Annahmebescheinigung zu bestätigen ist – wir müssten, angesichts einer gewissen internen Bedrohung, auf absoluter Korrektheit bestehen.
    Es werden hiermit vorgelegt: 5 Braune Blätter der FernsprechErfassungsstelle, 3 Braune »Freunde« von Amt B mit Zusammenfassung von Meldungen der Funk-Erfassungsstellen, 6 Braune »Vögel« von Amt D mit Meldungen aus dem Fernschreib- und Telegrammverkehr. Die Rundfunküberwachung von Amt C hat derzeit bei BBC London, Paris PTT , Madrid und Moskau kaum nennenswerte Ergebnisse erbracht, auch wird die Briefüberwachung von Amt F mehr und mehr vom Sicherheitsdienst der SS

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