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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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belegt das. Auch die Kollegen der Briefüberwachung waren fleißig: 9 Blätter. Dürftig hingegen die Resultate der Dienststelle D; diverse Botschaften erschweren meinen Kollegen die Arbeit erheblich durch den neuen Fernschreibzerhacker, der uns nur Puzzlestücke zukommen lässt.
    Übrigens, Sie werden es ja sehen: Hubalek hat, der Luftkriegslage und deren Folgen entsprechend, den Beiwagen vom Motorrad abmontiert; kurz nach Angriffen ist sonst kaum ein Durchkommen bei all dem Schutt, all den Trümmern auf den Straßen. Von nun an nimmt er die Kuriermappe im aufgehuckten Tornister mit – in der Hoffnung wohl auch, dass ihm sein Mädel für die Rückfahrt dies und das hineinsteckt aus den reichen Vorräten im Hause Carinhall.

    Lieber Bor, das war eine hübsche Überraschung, zwischendurch auf Ihre Stimme zu prallen, telefonisch, trotz »Kamerad Horchposten«. Der Anlass ebenso erfreulich wie unverfänglich: Ihre Frage nach dem Befinden des Ausgebombten, nach dem Ergehen von Frau und Kind. Sowas können wir dem Fernsprechnetz immerhin noch anvertrauen – oder rätselt man im SS -Fernmeldeamt darüber, wer oder was mit »Frau« und »Tochter« verschlüsselt sein könnte?
    Vorab Nachrichten über Gerda, wozu bereits das Stichwort gegeben war durch die Ankündigung meiner Fahrt nach Mirow vergangenes Wochenende. Die Witterungslage hat sogar einen Spaziergang von Vater und Tochter erlaubt, und wir saßen, das kleine Schloss im Rücken, fröstelnd auf der Bank mit Blick auf den geradezu heuchlerisch friedlichen See.
    Erst mal Erleichterung. Der Neunjährigen geht es vergleichsweise gut. Was vorher nicht immer der Fall war. Auch sie ging im Trainingsanzug schlafen, sofern uns nicht Hochnebel oder tiefhängende Wolken schützten; gleich neben dem Bett solides Schuhwerk, bereit zum Reinschlüpfen. Beim ersten Anschwellen des Sirenengeheuls schluchzte sie zuweilen auf, noch im Schlaf. Ihr Stöhnen, wenn sie wachgerüttelt wurde. Rein in die Schuhe und der Griff zum Kinderkoffer mit der Puppe und deren Zubehör: wie Vater und Mutter wollte auch sie etwas in den LSR runtertragen. Auf dem Feldbett schlief sie meist rasch ein – bis die ersten Bomben in der Nähe detonierten und das Beten im Keller lauter wurde. Vorwiegend das Vaterunser, aber auch: Herrgott, schick die Tommies nächstes Mal zu einer anderen Stadt, ist ja nicht mehr zum Aushalten hier, fast jede Nacht dieses teuflische Treiben …!
    Irritationen für das Kind. Dies noch direkter, als die Wohnung durchgerüttelt wurde wie nach einem mittleren Erdbeben. Die Fenster Richtung Waterloo-Brücke und Landwehrkanal geborsten, viel Glas und Porzellan zu Bruch gegangen. Gerda großäugig: Gewürzgurken auf dem Küchenboden! Und von einer Porzellanfigur (immerhin Meißen): ein Arm abgebrochen. Der ließ sich unter all den Glasscherben, dem zerbröselten Verputz nicht mehr ausfindig machen, der Blick des Kindes blieb auf die Bruchstelle gerichtet. Geheul mit Rotz und Wasser.
    Als zu den Nachtangriffen die Tagesangriffe kamen, lagen bei Charlotte die Nerven blank. Das Kind kriegte mit, wie die Mutter schon bei erstem Anschwellen des Sirenentons unser aus der Ukraine angefordertes Dienstmädchen ohrfeigte. Eine schallende Ohrfeige bei jedem Sinuston. Ich habe vergeblich versucht, schon mit Blick auf das Kind, meiner Frau das auszureden, doch es blieb bei ostinaten Wiederholungen.
    Schließlich war es an der Zeit, der Evakuierungsanweisung des Gauleiters, unseres Vorsitzenden des Luftkriegsschädenausschusses, Doktor Joseph Goebbels, zu folgen. Ich konnte, im Gegensatz zu anderen Elternteilen, die Kinderlandverschickung nur gutheißen, Tochter und Mutter wurden behördlich getrennt, die Ohrfeigen zum Sirenenklang mussten das Kind nicht weiter irritieren. Auch warteten auf Charlotte Tochterpflichten in Bad Oldesloe.
    Doch wieder Mirow: Im Wirtschaftstrakt des Schlosses war man auf die Ankunft von zwei Dutzend Berliner Gören nicht vorbereitet, die Kinder schliefen erst mal auf Strohschütten, aber das fanden sie spannend – knisterte und knackte so schön.
    (Zum Stichwort »Stroh« einer der Witze, vom Auswerter zugetragen: Neuerdings werfen die Briten Stroh ab für die Esel, die noch an den deutschen Endsieg glauben …)
    Recht zügig wurden von einem Uralt-Schreiner Doppelstockbetten für die Kinder angefertigt. Die Lehrerin ging im Zwischengang auf und ab und erzählte Abend für Abend ein Gutenacht-Märchen. Darunter, wenigstens zweimal, das Märchen vom Hanns

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