Das Gesetz des Irrsinns
Stichwort
Besatzung Dora
: Seit Monaten auf Eis gelegter Schwarzweißfilm, er gedenke, den bald schon aufzutauen.
Erckmann, ausnahmsweise nicht beflissen, eher pikiert: Und da soll ich den Script-Doctor spielen, das Drehbuch verbessern?
Nein, nein, es muss ein neues Drehbuch her! Es geht nicht bloß um ein Remake, womöglich nach Ritters Drehbuch, und schon gar nicht in seiner Regie! Die Rechte am sogenannten Plot werden der Produktionsgesellschaft abgekauft; alles soll neu aufgezogen werden. Vor allem das Verhältnis der vier Piloten untereinander oder zueinander muss neu gestaltet werden – auch in ihren Mädelgeschichten. Hauchen Sie den Akteuren Leben ein! Ich will Personen sehen, nicht Parolen hören! Und das Ganze in Agfacolor, versteht sich.
Also ein wahrer Neustart! Schon begann es zu arbeiten in Erckmann: Vier Mann in einer Flugzeugkanzel, sehr enger Spielraum, aber hell, schön hell, reiche Verglasung am Bug. Entsprechend viel Ausblick – durchaus befreiend. Eventuell sollte aber auch eine ganz andere Welt mit hereinspielen – wie wärs, wenn die vier bei einem Heimaturlaub in ein Konzert gingen? Nicht unbedingt mit Musik in der Art: »Ich wollt, ich wär ein Huhn« oder »Lass mich dein Badewasser schlürfen«. Vielmehr etwas mit Niveau, eher klassische Klänge …
Die Besatzung in einem Konzert – warum nicht? Da wäre Furtwängler sicher mit von der Partie, sähe mal wieder eine Kamera auf sich gerichtet. Und das bei Beethovens Fünfter oder Neunter – müsste hinhaun!
Und Poncini übergoss das Dessert mit Cognac, flambierte. Auch Erckmann zeigte sich entflammt. Göring hob das Kristallglas mit Beute-Burgunder, seit dem Frankreichfeldzug entscheidende Jahre weitergereift: Ein Prosit auf das Projekt!
Fliegeralarm. Über Drahtfunk gemeldet, von Horcher vermittelt: Anflug starker feindlicher Verbände. Rascher Aufbruch. Erckmann schwang sich auf sein Privileg-Krad, eine Moto-Guzzi älterer Bauart, brauste davon Richtung Strausberg.
Auch RM wollte schnellstens raus aus der Stadt, ließ verbotswidrig mit vollem Licht fahren, der Wagen ohne Begleitschutz, an der Ausfallstraße fielen zwei Schüsse, ein offenbar geblendeter Posten, eher Warnschüsse, dennoch, der Fahrer beschleunigte. Ja, ab mit Karacho! Und ich begann zu singen, von Weißweinrotweinschampus zwar nicht enthemmt, aber gelöst: »Ich wollt, ich wär ein Huhn, Ich hätt nicht viel zu tun, Ich legte vormittags ein Ei und nachmittags, da hätt ich frei.«
Und RM ? Kollerndes Lachen und die Aufforderung: Weiter! Also sang ich, was ich an Textfragmenten noch im Kopf, im Ohr hatte, während die Limousine mit achtzig Sachen durch die Dunkelheit röhrte.
Lieber Borowski, ich schicke unseren Kradmelder diesmal nicht auf den Weg, um Neues zu vermitteln in Sachen D r G / VH , sondern um ein Desaster zu vermelden: Beim schweren Bombenangriff vergangene Nacht wurde meine Wohnung durch eine Luftmine quasi pulverisiert. Ich habe den Rest der Nacht auf dem Feldbett im FA -Bunker verbracht. Werde hier wohl bis auf weiteres mein Notquartier aufschlagen müssen.
Ich kann mich indes glücklich preisen, dass ich Frau und Tochter rechtzeitig evakuiert hatte, damals, nach dem Inferno von Hamburg. Da fragten wir uns ja alle: Ein Feuersturm demnächst auch in Berlin?! Der überraschende Aufruf von Gauleiter Goebbels, Berlin zu verlassen. Da war auch er in Panik geraten. Nach den täuschend ruhigen Zwischenwochen wurde es, nicht nur in meiner Einschätzung, ähnlich schlimm wie befürchtet.
Was ich bisher beklagt habe, ist nun Grund zur Erleichterung: Tochter, neun, ist im Rahmen der Kinderlandverschickung in Mecklenburg, meine Frau weilt in Bad Oldesloe, kümmert sich um die hinfällige Mutter. Ich werde die nächste Gelegenheit nutzen, um Tochter Gerda in Mirow zu besuchen.
Familie geborgen, und damit: Kein Wort über den Verlust der Wohnung, den Verlust persönlicher Erinnerungsstücke. Eine Anmerkung stattdessen zum Stichwort Lufthoheit. Von der Auswertungsabteilung wurde mir kürzlich ein Witz zugesteckt über einen Geheimvertrag zwischen Reichskanzlei Berlin und Headquarter London: Ihr stellt die Bomber, wir stellen den Luftraum zur Verfügung.
Nichts für ungut, aber das musste mal raus. Hubalek überbringt auch diese Zeilen in der (diesmal fast prall gefüllten) Kuriertasche mit Braunen Blättern der Dienststelle B: Die Kollegen der FunkErfassungsstelle haben eine Anzahl spezifischer Mitteilungen abgefangen, die stolze Zahl von 17 Blättern
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