Das Gesetz des Irrsinns

Erzherzogs geheim bleiben solle.«
    Am 19 . September besichtigte die Delegation das österreich-ungarische Feldspital in Aleppo. Am selben Tag überfiel Lawrence erneut die Hedschasbahn. Hier setze ich, von der Chronologie animiert, den Showdown zwischen Lawrence und Musil an: eine Engführung. Die beiden
mussten
einmal gegeneinander geführt werden! Weil die Realität das versäumt hatte, verwirkliche ich das virtuell.
    Auch hier: Man muss nicht sachkundig sein, um sich auf die Geschichte einzulassen. Dass die Konfrontation erfunden ist, dürfte schon deutlich werden durch die Figur, die ich als Erzähler einführe, den Filmdichter (wie man damals sagte), den Drehbuchautor (wie es heute heißt) Hanns-K. Erckmann. (Er tauchte bereits in der dritten Erzählung meines Buchs
Ich war Hitlers Schutzengel
auf).
    Was Erckmann ausführt, zeigt auch ohne indirekten oder direkten Kommentar im Erzähltext: Hier wird frei disponiert über Fakten, dies in propagandistischer Intention, also verfälschend. Was dennoch voraussetzte, dass ich mich für das Schein-Treatment des Spielfilms möglichst genau informiert habe über die Protagonisten Lawrence und Musil im Kontext des Ersten Weltkriegs, der auch auf der arabischen Halbinsel ausgetragen wurde. Der Aktionsraum ist vorgegeben, wird jedoch erweitert durch Fiktionen, die Fakten schärfer konturieren.
    Dies auch mit Blick auf unsere Zeit: Im Szenario des Showdowns im Hedschas wird ein Modell vermittelt für heute weithin asymmetrische Kriegsführung: Paramilitärische, nicht uniformierte Trupps gegen reguläre, uniformierte Truppe.
    Das war erst mal eine Notlösung. Die Beduinen waren, in der ersten Kriegsphase, meist schlecht bewaffnet – Pistolen und Gewehre oft reichlich alt. In offener Feldschlacht wären sie den technisch hochgerüsteten Türken unterlegen gewesen. Der kleinwüchsige Mann in Weiß, hitzeresistent, strapazierfähig, charismatisch, er aktivierte, integrierte Kampftraditionen der Beduinen: Taktiken der Täuschung, der Kriegslist, des Überfalls und – notfalls – der raschen Absetzmanöver. »Hit and run.« Im Kampf gegen die osmanische Armee schien es allein sinnvoll, die Logistik des Gegners zu stören, womöglich zu zerstören. Dazu ein höchst geeigneter Ansatzpunkt: Durch beinah unabsehbar weite Wüstengebiete und schroffe Bergregionen führte die dünne Linie der Hedschasbahn, wichtige Nachschublinie der türkischen Hauptgarnison in Medina. Trupps, die heute als Freischärler oder Partisanen bezeichnet würden, sie sprengten Gleisanlagen, Brücken und Züge möglichst oft und wirkungsvoll. Dazu Überfälle auf isolierte Stellungen, auf kleinere, befestigte Quartiere der osmanischen Armee.
    Deren österreichische Berater konnten sich von tradierter militärischer Doktrin nicht befreien, sahen in der Taktik der Nadelstiche nur die verächtliche Kampfführung eines verachteten Gegners, der nicht nur geschlagen, der auch bestraft werden musste.
    In einer Zeit, in der die Wehrmacht, vor allem in Russland, verlustreiche Erfahrungen mit Partisanen machte, die als Verbrecher dargestellt und verbrecherisch eliminiert wurden, in jener Zeit konnte ein Erckmann reguläre Truppe nur feiern, konnte er vagierende, von Briten begleitete, geführte Beduinentrupps nur verachten. Im zeitbedingt antibritisch angelegten Filmszenario wird Lawrence denn auch abgestraft, wird weggepeitscht. Keine sadistische Erfindung, hier gab es eine Vorlage: Die Auspeitschung, Folterung durch Türken, von Lawrence ausführlich beschrieben mit der beinah masochistischen Lust eines Mannes, der Strapaze und Erschöpfung nicht mied, grenzwertig schmerzhafte Erfahrungen eher suchte.
    Die neue Taktik wurde also nicht an Kartentischen von Hauptquartieren konzipiert, sie entwickelte sich in isolierten Aktionen von Kamelreitertrupps: zukunftsweisendes Modell asymmetrischer, vielfach erfolgreicher Kriegsführung.

    Zum Schluss des Begleittextes ein Zitat, an dem sich ablesen lässt, mit Blick auf Kriege in Afghanistan wie im Irak, dass zwar entscheidungsberechtigte, aber nicht immer verantwortungsbewusste Politiker aus der Geschichte ums Verrecken nicht lernen wollen oder lernen können.
    August 1920 erschien in
The Sunday Times
ein Beitrag von Lawrence. Die Redaktion stellte eine Notiz voran: »Mister Lawrence, dessen Organisation und Führung des Hedschas gegen die Türken eins der großen Abenteuer des Krieges gewesen ist, hat auf unsere Bitte den folgenden Artikel geschrieben, damit die