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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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ausgehändigt; die Nachkommen hätten es getreulich gehütet und erst 1933 zur Veröffentlichung freigegeben; als »Herausgeber« durfte Marius Casadesus verantwortlich zeichnen, Geiger, Komponist, Instrumentenbauer. Er soll auch ein Violakonzert von Händel nachempfunden haben und einen Teil der Themen, die Strawinsky für echten Pergolesi hielt und in der berühmten Pulcinella-Suite verarbeitete.
    Ich hatte das ›siebte‹ Violinkonzert der Kassette früher nur nebenbei registriert, höre es mir im gegenwärtigen Arbeitsprozess erneut an. Bin natürlich voreingenommen, kann nicht mehr überrascht werden wie vom Bratschenkonzert aus dem Hause Casadesus, und so fällt mir vor allem auf: Vorliebe für hohe und höchste Töne der Violine. Hohe, spitze Tonbildungen wurden lange Zeit aufnahmetechnisch generell hervorgehoben, dieser modischen Vorliebe hat man kompositorisch in reichem Maße gehuldigt. Auch Mozart gönnt Violinsolisten wiederholt den Kick des hohen Tons, aber längst nicht so oft. Und: was sich bei ihm in fließender Entwicklung wie von selbst ergibt, das wirkt im nachgeahmten Werk oft aufgesetzt. Erwünschter, ja bestellter Effekt.
    Und wie kamen die CD -Interpreten an die Noten? Ganz einfach: sie lassen sich über den Musikverlag Schott beziehen, noch heute. Unter welchen Vorzeichen?
    Das »Adélaide-Konzert« wird umstandslos Mozart zugeschrieben. Zur Entstehung der Komposition nennt der Verlag das Jahr 1766 . Marius Casadesus wird gleichfalls genannt, erneut als Herausgeber. Und als Komponist der zweieinhalb Kadenzen (in Konkurrenz zu den Kadenzen, die Hindemith für dieses Phantomkonzert geschrieben hat).

    In einem Bericht über den Fall Joyce Hatto (darauf gehe ich jetzt aber nicht ein!) bietet der Pianist Alfred Brendel einige Stichworte an zur Rezeption musikalischer Fälschungen. Ich greife auf: Naivität … Sorglosigkeit … Leichtgläubigkeit … Vergesslichkeit … Voreingenomenheit …
    Assoziationen hier an ein Wort, das mich amüsiert: fehlerfreundlich. Es lässt sich für die Musikbranche variieren: fälschungsfreundlich. Man nimmt es nicht immer allzu genau, verlässt sich auf Wirkung, zielt ab auf Umsatz.
    Am allerdeutlichsten wird das beim wohl erfolgreichsten Musikstück des sogenannten Barock, dem weltberühmten Adagio g-moll von Tomaso Albinoni. Hier scheint man sich in der Musikbranche stillschweigend verständigt zu haben: Dies ist nach wie vor ein Werk des lange Zeit vergessenen Barockkomponisten. Dabei war der eigentliche Produzent des Achtminüters relativ vorsichtig. Er hatte schließlich Gründe, um seinen Ruf zu fürchten: Der Musikwissenschaftler Remo Giazotto hatte 1945 eine Albinoni-Monographie samt Werkverzeichnis veröffentlicht.
    1958 erfolgte ein Nachtrag, deklariert als Fund eines Handschriftenfragments in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden: sechs Takte für eine Violine, dazu ein bezifferter Bass. Giazotto komplettierte das ›Fragment‹, publizierte das Adagio in einem Mailänder Musikverlag. Der Titel ist wichtig, auch wenn er kleingedruckt ist: »remo giazotto; adagio in sol minore per archi e organo su due spunti tematici e su un basso numerato di tomaso albinoni«. Das heißt, der erstgenannte Giazotto war inkassoberechtigt für das Werk, nach geltendem Urheberrecht. Und das zahlte sich mächtig aus, er wurde (vielleicht neben Strawinsky) der finanziell erfolgreichste Komponist des 20 . Jahrhunderts.
    Der Fund der Startsequenz konnte in Dresden nicht bestätigt werden. Noch 1990 ging man der Frage nach, und die Landesbibliothek konnte nur signalisieren: Fehlanzeige. Man stellte klar: Das erwähnte Handschriftfragment lässt sich nicht nachweisen, das Adagio ist eine »freie Erfindung« von Giazotto. Was sich aber vorher schon herumgesprochen hatte.
    Auch wenn Giazotto kontinuierlich Tantiemen für diesen Orchestersatz kassierte, sein Name löste sich allmählich von der Komposition, sie machte sich selbständig als Werk von Albinoni. Dabei wirkten viele Dirigenten und Produzenten mit. Zur Zeit taucht dieses Adagio auf mehr als hundert CD -Produktionen auf. Dies wiederholt als Locktitel, etwa: »Adagio & Other Italian Baroque Masterpieces«. Oder: »Autour De l’Adagio Celebre De l’Albinoni«.
    Auch ein Karl Münchinger, sogar ein Herbert von Karajan haben als Dirigenten dazu beigetragen, das Werk zu akkreditieren, zu kanonisieren.
    Pikanterweise wird die Karajan-Einspielung sogar als »Original Version« bezeichnet. Der Maestro zelebrierte das Werk

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