Das Gesetz des Irrsinns
Dauermotivation.
Nun die vierte (und hier letzte) Variante der Geschichte vom grönländischen Raben, ebenfalls in einem Ausschnitt.
»Der große Rabe-die großen Raben stecktesteckt-stecktenstecken die Sonne-Sonnen in einen Fellsack-in Fellsäcke, ginggeht-gingengehen-kamkommt-kamenkommen mit der Sonne-den Sonnen im Fellsack-in Fellsäcken bergaufbergab und nordwärtssüdwärts versteckteversteckt-verstecktenverstecken die Sonne-Sonnen, sagtesagt, sagtensagen: Ich-wir« …
Ich vermittle, »übersetzend«, den Kommentar des Ethnolinguisten: Der »Symmetriepaarung« von Präsens und Präteritum entspricht eine Symmetriepaarung von Einzahl und Mehrzahl; Olsen schreibt auch hier von der »Schwebe der Symmetrie«.
Demnach sind Einzahl und Mehrzahl gleichrangig; stets wird ein Substantiv im Singular gekoppelt mit demselben Substantiv im Plural; nie also bleibt Einzahl allein, bleibt Mehrzahl für sich. Dabei unterscheiden sich Einzahl und Mehrzahl vielfach nur im letzten Buchstaben: das »p« der Einzahl, das »t« für die Mehrzahl. Tuluvkap: der Rabe, tuluvkat: die Raben. Beides wird kombiniert: Tuluvkap-tuluvkat, tuluvkaptuluvkat – in diesem Fall sind mehrere Raben gemeint. Heißt es dagegen tuluvkat-tuluvkap, tuluvkattuluvkap, so wird der einzelne Rabe gemeint. Auch der große Rabe der grönländischen Schöpfungsgeschichte: nicht solitär, sondern eingebunden in eine Generationenfolge oder erweitert zu einmütig kooperierender Gruppe.
Auch für den großen Raben gilt: Ich, das europäische »Zentralwort« der ersten Person Singularis, es wird auf der Insel Kuhn ausbalanciert mit der Mehrzahl; uvanga, ich, wird stets verbunden mit uvagut, wir. Uvanga-uvagut: Hier sieht sich der Einzelne als Mitglied einer Gruppe. Uvagut-uvanga: Hier hebt sich der Einzelne hervor. Diese Verbindung muss auch in der Schreibweise sichtbar werden: uvagutuvanga, uvangauvagut.
Ich will es bei diesem festlichen Anlass nicht bewenden lassen mit dem kleinen Bericht aus dem Forschungsgebiet der Ethnolinguistik, ich riskiere ein Experiment: Die Beschreibung der routinemäßigen Arbeitsabläufe zur Erfassung von Wetterdaten amalgamiert mit Sprachmustern der grönländischen Nordostküste, der kleinen Siedlung auf der Insel Kuhn:
Vierzig Grad Kälte, aber Luftraumsondierung, fünfundvierzig Grad minus, doch die Meteorologen füllten, füllen den Fesselballon mit Gas, lassen, ließen ihn einen Kilometer, zwei Kilometer, drei Kilometer aufsteigen, werden ihn einen Kilometer, zwei Kilometer, drei Kilometer aufsteigen lassen, zogen, ziehen ihn wieder herunter mit der Winde: kurbelten, kurbeln, werden kurbeln, trugen, tragen die Registriertrommeln in das Stationshaus, werden sie in das Stationshaus tragen. Und der Drachen stieg-steigt zwei, drei Kilometer hoch in den turbulenten Luftraum, südwärts-nordwärts, nordwärtssüdwärts. Und der Meteorologe tut-die Meteorologen tun, was der Meteorologe getan hat-die Meteorologen getan haben, der Meteorologe tat-die Meteorologen taten, was der Meteorologe tun wird-die Meteorologen tun werden.
Hier ein letzter Blick in die Notizbücher des Ethnolinguisten, der zum Wetterdienst abkommandiert war. Der Gleichförmigkeit der Abläufe entsprechen Repetitionen in den Notaten. Es wiederholen sich vor allem Stichworte wie Kälte, beißende Kälte, wie Schneefegen, »widerliches Schneefegen«. Und, da capo: Wissenschaft kontra eisiges Schneefegen …
Auch jenes schlangenartige Dahinwirbeln von Schnee dicht über dem Boden will Olsen anders sehen, anders werten: »Wenn ich so dieses Heer von Schlangen beobachte, die im Mondlicht unter leisem Zischen über den Schnee gleiten, dann fühle ich mich der Natur ganz nah.«
Die Frage nach der Relevanz der begleitenden Aufzeichnungen beantwortet sich von selbst mit Blick auf das folgende, nun abschließende Zitat: »Habe zwischen Stationshaus und Inuitsiedlung unter dem flimmernden Polarlicht gestanden mit dem niederschmetternden Gefühl der Ohnmacht gegenüber dieser nicht etwa neu entdeckten, nein, seit Menschengedenken bekannten Naturerscheinung. Hoch über mir entrollte sich die strahlende Draperie in geheimnisvollen Bewegungen, eine gewaltige Lichtsymphonie wurde über meinem Haupt gespielt in tiefster, feierlicher Stille. Was ich mitzuhören glaubte: Komm doch her und untersuch mich! Sag mir, was ich bin!«
Den Musil spreng ich in die Luft!
Sehr geehrter Herr Reichsfilmintendant, mein lieber, altverehrter Fritz Hippler!
Seit unserem Gespräch im
Weitere Kostenlose Bücher