Das Gesetz des Irrsinns
Abläufe wiederholen sich permanent in gleichen Formen auf der »kekertarssaax«, der »großen Insel« – stets gleiche Abläufe, dies »soraisangitsumik«, sprich: unaufhörlich.
Alles sprachlich höchst signifikant, und zugleich ein Beitrag zur grönländischen Philosophie. Wer etwas sagt, das ist in den meisten Fällen gleichgültig, wer etwas tut, das zählt in den wenigsten Fällen, vielmehr: Es wird getan, es wurde getan, es wird gesagt, es wurde gesagt.
Damit hat sich in diesem Bereich der Nordostküste ein Spezifikum erhalten, zumindest bis zum Zeitraum der Feldforschung: Doppelungsformen, die Gleichwertigkeit und Gleichrangigkeit von Vergangenem und Gegenwärtigem betonen. Also hier: takuvâ-takuvâ.
Die Schreibweise mit Trennstrich ist bereits ein Kompromiss, ist »Hilfskonstruktion«; im Inupiaq der Insel Kuhn sind lange, silbenreiche Wortkonglomerate üblich. Nur um sie lesbar zu machen, werden Trennstriche eingefügt; dem Inupiaq ist »verschmelzende« Schreibweise angemessen: takuvâtakuvâ. Oder, konsequent übertragen: er sahsieht, beleuchtetebeleuchtet, trugträgt.
[Anm. d. Hrsg. zu Sigmar Kleinschmidt, dem Verfasser des Festschrift-Beitrags:
Kleinschmidt hatte die Ethnolinguistik gleichsam als Quereinsteiger entdeckt: Schon als Gymnasiast war er fasziniert von Berichten über jahrelange Forschungsexpeditionen auf Segelschiffen, und hier war es vor allem die Weltumsegelung des Adelbert von Chamisso auf der russischen Brigg
Rurik
unter dem Kommando des Otto von Kotzebue, Sohn des seinerzeit überaus erfolgreichen Stückeschreibers.
Chamisso, Botaniker und Schriftsteller, sammelte nicht nur Pflanzenpräparate, er griff Anregungen auf zum Studium exotischer Sprachen – Anregungen, Vorarbeiten mit Spätwirkung, Langzeitwirkung. So begann etwa zwei Jahrzehnte nach der Zwischenlandung auf Hawaii sein »linguistisches Studium; ich lerne jetzt eifrigst die Sprache von Hawaii«; er arbeitete an einer »hawaiischen Grammatik«; auf dem Sterbebett redete er, offenbar im Fieberwahn, »in fremden Zungen, großenteils hawaiisch«.
Es blieb nicht beim Studium dieser Sprache, Chamisso arbeitete auch als Komparatist, notierte während der Forschungsreise Wörter in drei verschiedenen Sprachen: eine Liste, die mit dem Wort »Gott« eröffnet wurde, es folgten Mann, Weib, Vater, Mutter, und das setzte sich fort mit Wörtern für Körperteile wie Zahn und Zunge.
Auch dabei blieb es nicht. Im Anhang zu Chamissos
Reise um die Welt in den Jahren
1815
–
1818
fand K. einen kurzen Beitrag »Über malayische Volkslieder«. Hier ein Strophenzitat, dessen erste Zeile zum Lockruf wurde: »Kálau túan jálan daulu.«
Und K. ließ sich verlocken. Unterstützt durch ein Forschungsstipendium, betrieb er in den fünfziger Jahren ethnolinguistische Studien im Hinterland von Simanggang. Er katalogisierte nicht bloß (wobei sich herausstellte, dass Chamissos Umschriften erstaunlich präzis waren), seine Studien fokussierten sich auf Sprachstrukturen, in denen sich Denkmuster ausprägten. Oder: Sprachstrukturen, die Denkmuster (mit)prägten.]
Wie bereits angemerkt: Es sind mehr als zehn Dutzend Notizbücher (meist kleineren Formats) überliefert; weiten Raum nehmen Olsens Aufzeichnungen ein über die täglichen, vorwiegend routinemäßigen Abläufe, an denen er sich beteiligen musste: Voraussetzung für seine Teilnahme an der Überwinterung auf der Insel Kuhn. Auf diese Weise wurde die ethnolinguistische Feldforschung indirekt finanziert.
Auf dem Eisplateau in der Polarnacht: bis zu vierzig, fünfzig Grad Außentemperatur. Mit dem Spiritusbrenner kann die Temperatur im Winterbau meist nur auf etwa zehn Grad über null angehoben werden; bei Schneefegen Annäherung an den Nullpunkt. Folglich: Zusammenrücken … Schachzüge wie in Zeitlupe … Pfeiferauchen: der Winterbau wird zur »Räucherkammer« … Flucht in den Schlafsack … Absinken der inneren Antriebskräfte – der »Energieausfall«, beklagt von einem der Meteorologen.
Es kostete Selbstüberwindung für die Männer, aus dem Winterbau in die grausam kalte Polarnacht hinauszustapfen, die Schinderei, Plackerei fortzusetzen. »Mit der Arbeit, soweit sie an Ballons und Drachen geknüpft ist, geht es auf und ab. Diese merkwürdigen Erscheinungen schweben früh und spät über dem Stationshaus, und wir haben uns allmählich an sie gewöhnt, wie an etwas, das beinah die Fels-, Schnee- und Eislandschaft um uns herum charakterisiert. Welche Geduld dazu gehört, die
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