Das Gesetz des Irrsinns
gelangen. Dass Hübner nicht schon nach wenigen Kilometern das Unternehmen abbrach und die Epstein nach Hause schickte, lässt rückschließen auf eine geradezu extreme Form des Fanatismus, der Mitte September 1944 , kurz vor Eroberung der nahen Grenzstadt Aachen, jeder, aber auch wirklich jeglicher Grundlage entbehrte.
Generell, und das muss ich gleichfalls betonen, wollte ich mit der Gestapo, speziell in der Außendienststelle Krefeld, möglichst wenig zu tun haben. In meiner Position erfuhr man etwas zu viel über geläufige Praktiken in der Uerdinger Straße, Praktiken, die sich vor allem mit dem Namen Hoegen verbinden, einem der beiden Kollegen von Hübner.
Laut einem mir persönlich erstatteten Bericht versuchte Gestapomann Hoegen, im Keller der Dienststelle Uerdinger Str. 62 , von einer Frau ein Geständnis zu erzwingen. Da sie sich weigerte, band sie Hoegen, unterstützt vom Kollegen Strasser, mit Ledergurten auf einem Turnhallenbock fest, hob ihr Rock und Unterrock hoch und schlug mit einem Holzknüppel auf sie ein. Sie wurde geschlagen bis sie das Bewusstsein verlor; daraufhin wurde sie mit Wasser übergossen. Da sie, weiterhin geschlagen, vor Schmerz brüllte, verband ihr Strasser den Mund mit einem Handtuch. Tituliert wurde sie nur als Sau oder Schickse, dies vorrangig durch Hoegen. Dass ein Mensch eine wehrlose Frau derart misshandeln kann, schien ihr unerklärlich, ja, sie hatte den Eindruck, dass Hoegen & Strasser sadistisches Gefallen an der Misshandlung fanden.
Beinah überflüssig zu erwähnen, dass es sich hier um zwei geschätzte Kollegen des Hübner handelte, dass solche Folterungen im Dienstsitz von Hübner unweigerlich wahrgenommen – und stillschweigend geduldet wurden.
Es entwickelte sich während der mühseligen Fortbewegung auf meinem eindeutig überlasteten Fahrrad doch so etwas wie ein Gespräch.
Auslösend war mein Eingeständnis, mir falle die Erfüllung der gegenwärtigen Aufgabe nicht eben leicht, auch physisch. Ich erwähnte, dass ich unter rheumatischen Schüben leide, mir zwischenzeitlich jedoch ausgleichende Bewegung verschaffe, wie das ja nun auch generell empfohlen wird. Der obligatorische »Dienstsport« am Mittwochnachmittag reiche mir allerdings nicht aus: eine Partie Völkerball, etwas Gymnastik, ein paar Laufrunden … Ich berichtete, dass ich zu einer Fußballmannschaft gehöre, aufgestellt von den Außendienststellen der Region und wiederholt antretend gegen städtische, somit personell reicher besetzte Stapostellen. Früher hatten wir sogar mal gegen die Mannschaft vom lokalen SA -Sturm gespielt – einmal und nie wieder! Die Burschen grätschten knallhart dazwischen. Und Nachtreten war bei denen gang und gäbe. Das hatte der Schiedsrichter jedoch geflissentlich übersehen – er wollte offenbar keine Abreibung riskieren.
Dieser Hinweis auf die ruppige, ja rüpelhafte Spielweise der SA -Mannschaft löste Erinnerungen der Epstein an Übergriffe der lokalen SA aus. Ich musste davon ausgehen, dass sie von Erfahrungen im Verlauf der sogenannten Kristallnacht sprach. Doch nein, es ging um einen Vorfall wenige Tage später, am 17 . November 1938 . Um sicherzugehen, hakte ich nach, ob sie sich nicht im Datum irre; die Kristallnacht hatte eine Woche zuvor stattgefunden, und zwar in der Nacht vom neunten auf den zehnten November.
Zum Ablauf, offenbar wahrheitsgemäß von der Epstein wiedergegeben und von mir einen Tag später in schriftlicher Form festgehalten: Während es in der Aktionsnacht zu keinem Zwischenfall gekommen war, tauchten an besagtem 17 . November frühmorgens drei nicht aus Anrath, sondern aus Willich oder Tönisvorst stammende, stark angetrunkene SA -Männer in der Neersener Straße auf und verschafften sich gewaltsam Zutritt in die Wohnung der Barings. Als der Ehemann lautstark betonte, er sei Arier, wurde ihm Rassenschande vorgeworfen und er wurde in den Keller geschickt. Die Ehefrau musste sich an die Wand stellen und wurde mit geschlossener Hand geohrfeigt. Einer der Männer behauptete, sie besäße holländische Devisen – es gäbe diesbezüglich einen »sicheren Hinweis«, sie solle die Gulden rausrücken, sonst würde es ihr schlecht ergehn. Sie hatte aber keine Gulden in der Wohnung, keinen einzigen. Daraufhin wurden Schubladen rausgerissen, wurde ein Schrank umgekippt, »ausgerechnet der mit Glas und Porzellan«. Als sie um Schonung bat, trat ihr einer der SA -Leute in den Bauch.
Meine Frage, ob sie sich an den Namen des Täters erinnere,
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