Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
wollte. Zudem war ihm das Aussehen der Gäste ein Rätsel. Sie waren auf eine sehr bunte, extravagante Art und Weise gekleidet und frisiert. Er warf seiner Schwester einen Blick zu, der ihr signalisierte, dass die Fremden ihnen damit wohl eine besondere Ehre erweisen wollten.
Verunsichert beobachtete er Aziz Rasser, sein rotes Gesicht und die blonden Haare – viel zu blond, als dass die Farbe natürlich hätte sein können. Der Botschafter trug eine lange, glänzende Fototex-Tunika, die mit den Farben der Kleider seiner beiden Frauen wundervoll harmonierte. Um seinen Hals baumelten eine goldgelbe Metallkette und diverse gelbe und weiße Ringe, die mit farbigen Steinen verziert waren. Sein Make-up hingegen war sehr maßvoll; er hatte nur den Hauch einer hellen Grundierung aufgetragen, zu wenig, um damit die Röte seiner Haut abdecken zu können.
Die ältere Frau hatte ihr langes Gesicht mit einer komplizierten Frisur eingerahmt und protzte mit üppigem buntem Glasschmuck, den sie am Hals, am linken Nasenloch und an den Ohren trug. Suvaïdar flüsterte ihrem Bruder zu, dass es sich dabei um kostbare Steine handle, deren Namen sie leider vergessen habe – vielleicht Rubikons? Nein, Rubikons waren rot. Wie immer sie hießen, diese lächerlichen bunten, vollkommen unnützen Steine kosteten auf Wahie mindestens zwei Monatslöhne; den Grund dafür kannten nur die Bewohner der Außenwelt. Und wenn auf Ta-Shima irgendjemand dumm genug sein sollte, sich dieses überflüssige Zeug zu kaufen, musste er mindestens zwanzig Jahre arbeiten, um das nötige Kleingeld dafür beiseitelegen zu können.
Arsel, Rassers Tochter, war sehr schön, zumindest nach den Kriterien der Außenwelt. Sie hatte einen glänzenden Teint, strahlende Augen und hübsche Rundungen, ohne dick zu sein. Die Asix sahen das jedoch ganz anders. Mit einer gewissen Verächtlichkeit nannten sie Arsel den »dicken Strohkopf«. Arsels hellblondes Haar war zu einer Vielzahl von Zöpfen geflochten, die mit feinen Silberfäden geschmückt waren. An diesen wiederum befanden sich winzig kleine Blumen, die aussahen, als wären sie aus Glas.
Suvaïdar saß der jüngsten der drei Frauen gegenüber, der zweiten Ehefrau des Botschafters. In den orthodoxen Familien Neudachrens gaben die Frauen ihren eigenen Familiennamen auf, wenn sie heirateten, und nahmen den Namen ihres Ehemannes an; hatte der Mann mehrere Frauen, wurden sie »die erste«, »die zweite« Ehefrau genannt, und so weiter. Sie war noch sehr jung und offensichtlich von niedrigerem Rang. Sie schien sich in ihrem zeremoniellen Gewand unwohl zu fühlen; sobald sie sicher war, dass niemand sie beobachtete, führte sie einen Finger in ihren steifen Kragen oder strich über den Stoff ihres Rocks. Die meiste Zeit starrte sie auf ihren Teller, und wenn sie – was selten vorkam – einmal etwas sagte, wurde es sofort von der ersten Ehefrau mit einem ironischen Lächeln abgewertet, die ihrem Mann dabei einen wissenden Blick zuwarf.
Dann war da noch Kapitän Aber, aufgedonnert und parfümiert und mit der diskreten Grundierung eines weißen Make-ups auf dem Gesicht. Er beobachtete die beiden Ta-Shimoda mit einem verächtlichen Ausdruck auf seinen schmalen Lippen und interessierte sich vor allem für Arsel, seine Tischnachbarin. Suvaïdar fragte sich, ob er gerade dabei war, eine dieser fremdartigen, permanenten, reproduktiven Allianzen zu schließen, wie die Bewohner der Außenwelt es so gerne taten.
Der letzte Gast war Li Hao, Anthropologe und Linguist. Seine Kleidung war weniger üppig und extravagant, und was Schmuck betraf, trug er nur einen Ring an einem Finger der linken Hand. Doch er besaß einen Hightech-Kommunikator. Suvaïdar wusste, dass dieses Gerät genauso teuer war wie der gesamte Schmuck Arsel Rassers.
Von Imi, der jungen Asix, die mit Li Hao die Hängematte geteilt hatte, hatte Suvaïdar gehört, dass der Professor sich bemühte, Gorin zu lernen. Bis jetzt aber hatte er bloß ein kleines, einfaches Lexikon zusammengestellt. Immer wenn er auf einen Gegenstand zeigte, sagte Imi ihm die Vokabel, und er übersetzte sie.
Glücklicherweise erlaubten seine linguistischen Kenntnisse dem Professor noch nicht, die frechen Kommentare zu verstehen, die die beiden Asix, die bei Tisch servierten, über ihre Gäste zum Besten gaben. Sie verliehen ihnen wenig schmeichelhafte Beinamen. Als sie die Schüsseln aufdeckten, sagte einer von ihnen, angewidert vom Geruch des Fleisches:
»Shiro Adaï, es tut mir
Weitere Kostenlose Bücher