Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Grad?«
Es stellte sich heraus, dass es ein Asix war. Er würde die Aufgabe des Kampfrichters übernehmen. Falls er Odas Entscheidung merkwürdig fand, zeigte er es nicht. Er ergriff einen Übungssäbel und grüßte die beiden Shiro mit einer Verbeugung. Sie erwiderten den Gruß auf dieselbe Weise. Dann wandten sie sich voneinander ab und warteten auf das rituelle »Los!«, um den Kampf zu beginnen.
Gutari drehte sich um seinen Gegner, nach einer Eröffnung suchend, doch Oda blieb nahezu bewegungslos und begnügte sich damit, sich um sich selbst zu drehen, um ihm die Stirn zu bieten. Zwar bedeckte die Maske Odas Gesicht, aber Suvaïdar kannte ihn gut genug, um am Ausdruck seiner Augen zu erkennen, dass er sich köstlich amüsierte.
Gutari riskierte einen Stoß in Richtung Brustkorb. Oda wehrte mit einer kaum merklichen Bewegung ab, wobei er sein Gewicht auf das hintere Bein verlagerte und sich gleichzeitig einen Millimeter nach vorn bewegte. Ohne die Bewegung zu unterbrechen, drosch er die Reitpeitsche quer über Gutaris Gesicht. Die Bewegung war so schnell gewesen, dass der Junge einen leisen Schrei der Überraschung nicht unterdrücken konnte. Sofort schlug Oda noch einmal zu und zeichnete Gutari blitzschnell ein X aufs Gesicht. Ein paar Tropfen Blut sickerten durch die dicke Baumwollmaske des Jungen.
Oda trat einen Schritt zurück.
»Ich bin zufriedengestellt«, rief er aus. »Das war ein schönes Training, danke.«
Gutari wollte sich seinerseits bedanken, aber mit seinen verletzten Lippen brachte er keinen Ton heraus. Also begnügte er sich damit, sich tief zu verbeugen. Der Kampf hatte nicht einmal eine Minute gedauert. Der Kampfrichter erlaubte Gutaris Freunden, ihm die Gesichtsmaske abzunehmen. Er war quer über die Lippen getroffen worden und würde ein paar Tage nicht sprechen können, weil er den Mund nicht aufbekam. Doch so schlimm, dass er ins Lebenshaus der Jestaks gemusst hätte, war es nicht.
Suvaïdar nahm alles Nötige aus dem Erste-Hilfe-Schrank und desinfizierte die Wunden, von denen eine sehr tief war. Die Oberlippe war zur Hälfte aufgerissen.
»Ich muss die Wunde schließen, sonst verheilt sie schlecht, und du könntest womöglich gar nicht mehr sprechen«, sagte sie zu dem Jungen. »Warte einen Moment, ich schicke jemanden zur Krankenstation, um organische Gelatine zu holen.«
Gutari stammelte: »Nadel und Faden, Shiro Adaï.«
Suvaïdar kniff die Lippen zusammen. Doch als alle Anwesenden zustimmten, fand sie sich damit ab, ohne Narkosemittel nähen zu müssen. Ihr Patient blieb während der Operation völlig unbeweglich.
Oda lächelte ihm aufmunternd zu und wartete, bis die Nöte des jungen Mannes endlich vorbei waren. Dann grüßte er höflich alle Anwesenden und verließ den Fechtsaal, gefolgt von seiner Schwester.
»Gut«, sagte er, als sie gemeinsam zu ihren Zimmern gingen. »Wenn die Saz-Adaï nicht möchte, dass man über uns spricht, muss sie sich schon die Ohren zustopfen.«
Suvaïdar war überzeugt, dass diese Episode die Kälte der Clanmitglieder ihr gegenüber noch verstärken würde, aber wie sich zeigte, war das nicht der Fall. Oda war nicht nur ein glänzender Fechter, er war ein lebendes Beispiel für die Tugenden und Fehler eines Shiro, und die Tatsache, dass sie seine Freundschaft genoss, hatte zur Folge, dass sie in den Augen der anderen mit einem Mal eine höhere Achtung verdiente. Am Tisch traf sie nicht mehr auf das unwirtliche Schweigen, mit dem sie gerechnet und worauf sie sich innerlich vorbereitet hatte. Auch die sarkastischen Bemerkungen, die sie als Beleidigungen hätte auffassen müssen, blieben von nun an aus. Stattdessen stellte man ihr nun Fragen über die Außenwelt. Es waren Fragen, die ein unglaubliches Nicht-Wissen über das Leben auf den siebenundzwanzig Föderierten Planeten dokumentierten. Obwohl die Menschen aus der Außenwelt Ta-Shima schon seit vielen Jahren besuchten, hatten nur die Asix Kontakt mit ihnen. Die Shiro waren viel zu stolz, um mit den Fremden Bekanntschaft zu schließen.
Jedenfalls saß Suvaïdar von nun an mit den anderen Mitgliedern des Clans am Tisch, ohne sich fremd vorzukommen. Stattdessen fühlte sie sich von der Gruppe akzeptiert.
Das habe ich Oda zu verdanken, dachte sie und betrachtete liebevoll das ernste Gesicht ihres Bruders.
Sie bedauerte nur, dass die Huangs solche Traditionalisten waren. In anderen Clans waren die Beziehungen untereinander weniger förmlich. Die Jestaks etwa besuchten regelmäßig ihre
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