Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
ebenfalls verlassen?«
»Das wäre gefährlich«, sagte die Ärztin. »Was Sie hier sehen, ist eine Reaktion auf den Kontakt mit dem toten Virus, aber wenn das Virus lebt ...« Die Geste, die sie machte – sie legte einen Finger quer über die Gurgel – musste nicht erst übersetzt werden.
»Aber weshalb haben Sie diese Voruntersuchungen nicht in Neudachren gemacht, bevor die Männer an Bord gegangen sind?«
Sie schaute ihn empört an. »Wie bitte? Sie verlangen, dass ich virale Stämme exportiere – mit dem Risiko, auf anderen Planeten eine biologische Kontamination hervorzurufen? Das wäre unverantwortlich. Außerhalb des Quarantänezentrums des Astroports gelten strengste Sicherheitsvorschriften. Unsere Ahnen wurden bei ihrer Ankunft geradezu dezimiert. Es grenzt an ein Wunder, dass überhaupt eine Gruppe überleben konnte. Sie waren praktisch am Limit des minimalen genetischen Pools.«
Genetisch? Aziz Rasser konnte nicht glauben, dass die Frau eine derart vulgäre Redeweise hatte, aber der Dolmetscher bestätigte es mit einer beiläufigen Geste, als würde es sich um einen ganz banalen Ausdruck handeln.
Als sie das Gebäude des Astroports verließen, erlebten sie eine weitere unangenehme Überraschung. Schon im Innern hatten sie es als sehr heiß empfunden, doch als sich die Tür ins Freie öffnete, hatten sie das Gefühl, in ein Dampfbad zu treten. Die Luft warfeucht und drückend. Binnen weniger Sekunden war ihre Kleidung tropfnass und klebte widerlich an ihren Körpern.
Der Himmel war genauso grau wie die Erde und voller Wolken, die sich scheinbar alle auf einmal in sämtliche Richtungen bewegten. Vor ihnen führte eine kerzengerade und völlig menschenleere Straße aus gestampfter Erde zu einem Ballungsgebiet, das man schon aus einigen Kilometern Entfernung erkennen konnte. Man sah keine Fahrzeuge, doch in der Ferne entdeckten sie einige Fußgänger. Der einzige Farbklecks in diesem grauen Einerlei war eine Ansammlung einheimischer blauer Pflanzen, deren Zweige – oder waren es Blätter? – sich in der stickigen Luft leicht bewegten.
Die Tür, durch die sie ins Freie getreten waren, öffnete sich erneut, um eine Gruppe junger Leute einzulassen, die fünf große Karren schoben. Sie luden die Koffer ab und gingen dann wieder, ohne ein Wort zu sagen. Die Neuankömmlinge blieben stehen und betrachteten die trostlose Landschaft im Einheitsgrau und die aschefarbene Erde unter einem Himmel aus Blei.
Arsel, die sich zum ersten Mal in der Fremde aufhielt, war fest entschlossen, diesen Planeten schön zu finden, aber sogar sie hatte damit ihre liebe Not: Was konnte man an diesem weißlichen Licht, diesem glanzlosen Himmel, dem Mangel an Farben, der düsteren Landschaft und der stickigen Hitze Schönes finden? Oder an diesem unangenehmen Geruch, bei dem der feuchte Staub und die säuerlichen Ausdünstungen der einheimischen Pflanzen überwogen?
Man sagt, dass jeder Planet seinen spezifischen Geruch hat, tatsächlich aber haben alle menschlichen Welten etwas gemeinsam – den Geruch der Menschheit und den der Produkte der Zivilisation, eine Mischung aus Maschinenöl, Toilettenartikeln, dem Ozon des Antigrav und dem Rauch des Lebenspulvers. Der Geruch von Ta-Shima war anders: feuchte Erde und Brackwasser, und darunter etwas absolut Fremdes, ein Hauch aus dem Dschungel vielleicht. Man hatte das Gefühl, sich auf einem Kontinent aufzuhalten, der nahezu unerforscht war.
»Welch schrecklicher Ort«, sagte Arsel und sprach laut aus, was alle anderen dachten.
Die Tür hinter ihnen öffnete sich ein weiteres Mal. Diesmal kam Kommandant N’Tari heraus.
»Müssen Sie sich jedes Mal dieser Prozedur unterwerfen, wenn Sie an Land gehen, Kommandant?«, fragte Rasser.
»Ich habe mich damit arrangiert. Einer der Pfleger spielt leidenschaftlich gern Schach, genau wie ich. Er hat das Schachbrett, und ich gebe die Züge durch.«
»Ein Einheimischer, der Schach spielen kann?«, staunte die erste Ehefrau Rassers. Sie war so verdutzt, als hätte sie soeben gehört, dass der Hund der Nachbarin Klavier spielen könne.
»O ja, meine Dame. Und ich musste mehr als einmal mein Bestes geben, um diesen Jungen zu schlagen. Bei mir verwendet er das traditionelle Schachbrett, das bei ihnen den Anfängern vorbehalten ist. Experten jedoch benutzen ein Modell mit drei oder vier verschiedenen Ebenen, sodass man die Figuren auch nach unten und nach oben ziehen kann, was ein ausgeprägtes dreidimensionales Vorstellungsvermögen
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