Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
aussehen, als handele es sich um die Initiative einer kleinen Gruppe, die nicht von der Regierung unterstützt würde.
Tsune Sadaï war nicht einverstanden; sie hätte ein Manifest vorgezogen. Sie ließ sich erst überzeugen, als Suvaïdar anmerkte, dass die Vergeltungsmaßnahmen alle treffen würden, ohne Unterschied, und dass die ersten Opfer die Asix sein würden, die in Niasau arbeiteten.
»Und wir«, fügte sie hinzu, wobei sie an Tsune Sadaïs Sinn für Ehre und ihr Pflichtbewusstsein appellierte, »wir sind für die Asix verantwortlich.«
14
In den darauffolgenden
Wochen wurde Suvaïdar mehrere Male zu den Versammlungen des engeren Rates gerufen und hatte Gelegenheit, die anderen Mitglieder besser kennenzulernen.
Riodal Lal war ein unnachgiebiger, engstirniger Mann, der sie auf gewisse Weise an Kapitän Aber erinnerte. (Natürlich hätten beiden einen Vergleich mit dem jeweils anderen als zutiefst beleidigend empfunden.) Genau wie Kapitän Aber steckte Lal voller Vorurteile und glaubte sich immer im Recht. Deshalb war er nur wenig geneigt, den Argumenten anderer Gehör zu schenken. Glaubte Kapitän Aber fest an die Vorherrschaft der Föderation und der unitaristischen Religion, war Lal ein inbrünstiger Verehrer des Säbelfechtens, das auf Ta-Shima beinahe einer Religion gleichkam.
Und dann gab es im engeren Rat noch David, der sich David Ricardo nannte, bevor das Feuer ihm seine Clan-Tätowierung weggebrannt hatte. Er war in all den Jahren, in denen Tsune mit eiserner Hand den Ricardo-Clan geführt hatte, ihr Berater gewesen. David war hässlich, viel zu mager und mit wirrem grauem Haar, doch in seinen Augen funkelte eine wache Intelligenz. Er würde nun völlig unter der Fuchtel Tsunes stehen, der er bereits zwanzig Trockenzeiten lang zu Diensten gewesen war. Nie im Leben würde David sich gegen Tsune auflehnen.
Und was Irina Sarod betraf: Sie war eine Unbekannte, wortkarg bis stumm. Sie sagte nur etwas, wenn sie gefragt wurde. Suvaïdar hatte den Eindruck, dass Irina keine eigene Meinung besaß. Suvaïdar fragte sich immer wieder, was Tsune Adaï wirklich bewogen hatte, Sarod zu wählen.
Doch dann offenbarte Oda ihr in einem Gespräch, dass die Clans Ricardo und Sarod seit mehreren Jahren wegen einer alten Geschichte – bei einem Duell hatte es Unregelmäßigkeitengegeben – in bitterer Feindschaft lebten. Tsune hatte Irina Sarod ausgewählt, um allen zu zeigen, dass sie unparteiisch sei und die Forderung ihres eigenen Clans nicht unterstützte. Es war ein sehr ehrenhaftes Motiv, aber keine Garantie dafür, dass Sarod ihre Aufgaben innerhalb des kleinen Rates wirklich erfüllen konnte.
Suvaïdar war nur ernannt worden, um die anderen Mitglieder des Rates mit Informationen über die Außenwelten zu füttern. Ihre eigenen Ansichten darüber, was opportun sei, waren nicht gefragt, geschweige denn erwünscht. Wenn sie ihrer persönlichen Meinung Ausdruck verlieh, wurde diese stets schweigend aufgenommen.
Nach und nach geriet Suvaïdar ins Abseits, und der zeitliche Abstand zwischen den Einladungen zu den Ratssitzungen wurde größer.
Als sie eines Abends mit Kilara nach einer Diskussion, die sie als unergiebig empfunden hatte, das Haus der Sadaï verlassen wollte, sagte sie leise zu ihrer jungen Kollegin:
»Sie sprechen von Ehre und von Kampf, aber sie begreifen nicht, dass es Krieg bedeutet. Sie stellen sich das Ganze immer noch wie ein Duell im Fechtsaal vor, mit einem Meister, der den Schiedsrichterposten innehat. Haben sie denn ganz und gar die Anfänge unserer eigenen Geschichte vergessen? Haben sie vergessen, wie plötzlich – ohne jegliche Vorankündigung – die Raumschiffe erschienen sind und unsere Universität bombardiert haben? Ich glaube, die einzigen nützlichen Waffen, die wir besitzen, sind das Fieber von Gaia, unser Klima, das niemanden einlädt, hier zu leben, und der Mangel an Erz und Mineralien.«
»Ich muss dir etwas anvertrauen und brauche einen Rat«, flüsterte Kilara. »Komm, wir setzen uns ans Ufer des Kanals. Im Haus des Clans möchte ich nicht reden. Irgendein Asix liegt dort immer auf der Lauer, um alles mitzubekommen.«
Sie gingen zum Ufer eines der vielen Kanäle, die Gaia durchzogen und die in der Trockenzeit die Wasserversorgung sicherstellten. Das Ufergelände war mit Gras bewachsen, und viele Ta-Shimoda fanden sich dort ein, um an der frischen Luft und unter den Bäumen zu plaudern.
Nachdem Kilara sich versichert hatte, dass niemand in Hörweite war,
Weitere Kostenlose Bücher