Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
mit Maria zu sprechen, aber bei der Alten habe ich nichts erreichen können, und Maria habe ich gar nicht erst gesehen.«
»Das nützt auch nichts. Die Sache ist bereits entschieden. Keiner von beiden wird zugeben, sich geirrt zu haben. Die Abfahrt wurde auf das nächste Hochwasser festgelegt, in acht Tagen also.«
»So bald schon! Ich kann nicht glauben, dass man da nicht mehr intervenieren kann!«
»Lara, die Rebellin ... Nein, du kannst nichts mehr tun, aber es ist ja nicht gesagt, dass es wirklich so gefährlich wird, wie du glaubst. Seitdem du dort gearbeitet hast, hat sich vieles verändert. Die Stammesleute leben nicht lange, habe ich recht? Also sind diejenigen, die du gekannt hast, längst tot, und die neuen Generationen haben sich weiterentwickelt.«
Suvaïdar schüttelte ungläubig den Kopf.
»Wenn das nur wahr wäre. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Zusätzlich zu den Problemen durch die strenge Endogamie haben auch die Schäden zugenommen, die durch die toxische Ernährung hervorgerufen wurden, die von Generation zu Generation mehr Giftstoffe in den Organismus gebracht haben. Sie haben keine große Lebenserwartung. Schon die wenigen Tage alten Babys leiden unter Mangel, wenn sie statt Muttermilch eine andere Milch bekommen. Sie sind auf die psychotropen Substanzen angewiesen, an die ihr Körper sich schon lange vor der Geburt gewöhnt hat.«
Saïda sagte misstrauisch: »Du hast wieder eine deiner glänzenden Ideen gehabt, nicht wahr? Sag mir, was du denkst. Ich bin sicher, dass das ein gutes Mittel ist, um dir Feinde zu schaffen.«
»Aber nein.« Suvaïdar versuchte, ihm einen unschuldigen Blick zuzuwerfen. »Was denkst du von mir? Ich habe mir nur gesagt, dass ich schon halbwegs vor Hunger gestorben und todmüde bin. Wir sehen uns morgen. Wenn du einverstanden bist, würde ichgern die ganze Zeit, die uns noch bis zu deiner Abfahrt bleibt, mit dir zusammen sein. Du hast gesagt, dass du die Flut abwarten willst. Fährst du mit dem Boot?«
»Ja, natürlich. Ich kann die Lebensmittel und Medikamente für ein Jahr nicht huckepack dorthin schleppen.«
Suvaïdar ging aus dem Zimmer, nachdem sie ihn noch einmal angelächelt hatte.
*
In den Tagen darauf sprach Suvaïdar nicht mehr darüber, dass sie seinen Aufenthalt im Gesundheitszentrum irgendwie verhindern wollte. Sie war zufrieden damit, sein Sei-Hey-Modell zu sein, und sie half ihm dabei, die Liste mit den Dingen zu erstellen, die er neben der Standard-Ausrüstung des Lebenshauses unbedingt brauchen würde. Suvaïdar verbrachte alle ihre freien Stunden mit ihm und nahm selbst in Kauf, die Töchter ertragen zu müssen, für die Saïda wie eine Asix-Pflegemutter empfand. Sie schlug ihm vor, ihre Matte mit ihm zu teilen, so oft er dazu Lust verspürte, selbst jede Nacht, wenn er wollte. Und sie lud ihn zum Essen in ein kleines Restaurant auf einer Flussinsel ein, um den Gemeinschaftsräumen ihrer jeweiligen Clans zu entkommen. Saïda verlor schließlich jeden Verdacht: Wenn Suvaïdar nicht gerade Dienst im Hospital hatte, war sie praktisch die ganze Zeit bei ihm, und er sagte sich, dass sie gar keine Zeit hatte, irgendetwas auszuhecken.
Ganz offensichtlich irrte er sich. Suvaïdar brauchte nicht mehr als fünf Minuten, um dem Lebenshaus mitzuteilen, dass sie die fünf Tage Jahresurlaub nehmen würde, die ihr von Rechts wegen zustanden, zusätzlich die fünf Tage, die sie im Jahr davor nicht genommen hatte. Sie müsse einige praktische Dinge erledigen. Und sie brauchte noch weniger Zeit, um die Asix-Hilfskraft, die als Pilot das Ambulanzmodul steuerte, davon zu überzeugen, das zu tun, was sie wollte.
Am Tag der Abreise begleitete sie Saïda bis zum Fluss und beobachtete, wie er an Bord des schweren Frachtkahns ging, der bis zum Rand voll war. Der Kahn fuhr ein paar Kilometer den Stromentlang; dann ging es weiter auf einem Seitenarm des Deltas nach Sovesta. Der Kahn bahnte sich bei Hochwasser seinen Weg durch das Sumpfgebiet, um dann den Corosaï-no-goï bis zum Gesundheitszentrum hinaufzufahren. Als man Suvaïdar damals für die Volljährigkeitsprüfung im Dschungel ausgesetzt hatte, hatte die Reise auf einem schnellen und weniger beladenen Boot mehrere Stunden gedauert. Mit diesem Koloss dauerte die Fahrt mindestens einen Tag und eine Nacht.
Suvaïdar ging wieder an ihre Arbeit, als wäre nichts geschehen. Sie machte Krankenvisite, führte einen Routineeingriff aus und gab Anweisungen. Dann ging sie ganz ruhig aus der Stadt und setzte sich
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