Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Steinbank, die an der Wand stand und auf der man die Kleidung und die Handtücher ablegte, wenn man duschen ging. Dann hob sie das Gesicht an. »Nadel und Faden«, befahl sie. Rico kam innerhalb von Sekunden wie ein Pfeil angeschossen, um der Ärztin ein Paket Nadeln und zwei Schachteln mit Fäden zu reichen.
»Die Nummer zwei für das Gesicht«, sagte Kilara, die sich in der Zwischenzeit fertig angezogen hatte.
Rico versuchte mehrmals den Faden einzufädeln, jedoch erfolglos. Kilara riss ihr beides mit einer ungeduldigen Geste aus der Hand und stieß sie zur Seite. Suvaïdar hatte diese kurze Zeit genutzt, um sich die Shu-Technik in Erinnerung zu rufen, eine Art Meditation, mit der man den Schmerz beherrschen konnte. Sie glaubte, es geschafft zu haben – bis zu dem Moment, als die Nadel durch die Haut stach. Doch es gelang ihr, das Zittern zu unterdrücken. In stoischer Haltung wartete sie, bis die Wunden endlich vernäht waren.
»Ich glaube nicht, dass die andere Wunde genäht werden muss«, bemerkte Kilara, »es reicht, einen Tropfen organische Gelatine aufzutragen.«
»Nadel und Faden, Jestak Adaï«, sagte Suvaïdar höflich, aber bestimmt. Kilara machte erbost zwei weitere Stiche.
Genauso muss auch ich aussehen, dachte Suvaïdar, wenn ein dummer Shiro ein Analgetikum oder ein organisches Pflaster ablehnt.
Das Duell hatte wenigstens bewirkt, das der Zorn, der in ihr gekocht hatte, weil Saïda in das zweite Gesundheitszentrum versetzt worden war, langsam nachließ. Seit ihrer Rückkehr hatte sie sich mit großer Mühe hinter einer höflichen Fassade versteckt. Sie bedankte sich bei Kilara für das Training und die Behandlung, wusch ihr Handtuch aus, das von ihrem Blut getränkt war, und hängte es zum Trocknen auf. Dann schlüpfte sie in ihre Stiefel und zog ihre Tunika über. Schließlich verließ sie das Haus der Jestaks, um zum Haus der Huangs zu gehen.
Sie hörte das Getrappel eiliger Schritte hinter sich. »Suvaïdar Shiro Adaï?«
Lara lief zu ihr, gefolgt von Rico.
»Was gibt es denn noch?«, fragte Suvaïdar unwirsch.
»Entschuldige bitte, könntest du uns sagen, ob du etwas Neues über Reomer weißt?«
Ihr Unmut verflog, und sie antwortete den beiden auf so freundliche Art, wie man es Kindern gegenüber im Allgemeinen nicht tat. »Er ist noch immer im zweiten Gesundheitszentrum, aber ich denke, alles wird gut gehen. Hat man euch erlaubt, das Haus zu verlassen?«
»Nein, wir hätten um Erlaubnis fragen müssen. Aber weil man uns noch keinen neuen Tutor genannt hat ...« Lara hielt sich die Hand vor dem Mund, als würde sie ihre Worte bereuen.
»Wie kann das sein?«, fragte Suvaïdar.
»Vielleicht hat man uns vergessen. Ist es erlaubt, ein Bittgesuch zu stellen, meine Dame?«, murmelte die mutigere Rico, während Lara flüsterte: »Pssst! Du machst die Sache nur noch schlimmer. Entschuldige dich, und dann lass uns gehen.«
»Wenn ich eine Strafe verdiene, werde ich sie annehmen, aber ich wollte wenigstens fragen.«
»Sprich«, forderte Suvaïdar sie auf.
»Es ist Lara so herausgerutscht, dass wir im Augenblick keinen Tutor haben. Du sprichst doch nicht mit der Saz Adaï darüber?«
»Hoffst du, dich vor deinen Pflichten drücken zu können, Kleine?«, fragte Suvaïdar mit strenger Stimme.
»Nein, ganz und gar nicht. Wir gehen weiter zur Schule und machen die Arbeiten im Haus, die man uns zuweist. Es ist nur ... wir befürchten, unterschiedliche Tutoren zu bekommen, vielleicht sogar aus verschiedenen Clans, und dass dies unsere Trennung bedeutet.«
Und?, wollte Suvaïdar antworten. Doch dann betrachtete sie die beiden kleinen Mädchen, die enger verbunden waren, als die Etikette der Shiro es eigentlich erlaubt hätte. Sie warf Rico einen Blick zu. Das Mädchen schaute sie mutig an, hatte den Kopf aber eingezogen, als erwartete sie einen Schlag auf die Schultern.
»Ach!«, rief Suvaïdar verächtlich. »Warum sollte ich meine Zeit vergeuden und der Sadaï etwas über zwei unwichtige Gören erzählen?«
Lara konnte ein befreites Lachen nicht unterdrücken. Rico dagegen entschuldigte sich: »Ay, Shiro Adaï, ich bedaure, dich belästigt zu haben, es wird nicht wieder vorkommen.«
»Das hoffe ich. Und statt die Erwachsenen mit euren dummen Fragen zu nerven, solltet ihr lieber einen Blick auf die Tafel im Lebenshaus werfen. D2 ist die Abkürzung für das zweite Gesundheitszentrum, und solange dort kein freier Posten angeschlagen ist, bedeutet es, dass Reomer sich noch dort
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