Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
seiner schlechten Manieren erteilten.
Trotz der Hartnäckigkeit ihrer Gastgeber hielt Suvaïdar sich nur zwei Tage im Haus der Asix auf. Sie hatte so viel durchgemacht, dass sie am liebsten für immer geblieben wäre. Mehr schlecht als recht versorgte sie die schlimmsten Hautabschürfungen, verband den Daumen der rechten Hand und aß so viel, dass es für einen jugendlichen Asix gereicht hätte. Dann untersuchte die Erwachsenen, die von sich behaupteten, sie bräuchten eine medizinische Begutachtung, sowie die Kinder, die versuchten, den ganzen Tag über möglichst in ihrer Nähe zu bleiben. Schließlich ritt sie mit Suvauan los. Sie saß ohne Sattel hinter ihm und klammerte sich an seinen Schultern fest, die bereits so breit waren wie die eines Erwachsenen. Als sie in Novia Estia ankamen, verabschiedete sie sich von Suvauan – ohne die Scham, die sie stets im Umgang mit ihrer Shiro-Tochter empfunden hatte.
Sie ging in das dortige Haus des Huang-Clans, wo sie sich die Summe auszahlen ließ, die ihr für diesen Monat zustand, abzüglich des Anteils für den Clan. Ihr blieb genug Geld übrig, um das Ticket für den Pendelverkehr bezahlen zu können.
Am nächsten Morgen war sie bereits im Haus des Clans in Gaia und klopfte an Odas Tür.
»Hast du den Kopf verloren?«, fragte ihr Bruder, nachdem sie ihm von ihren Abenteuern erzählt hatte. »Wir sind Shiro. Wir fordern zum Duell im Fechtsaal heraus. Wir schlagen uns nicht auf der Straße wie betrunkene Sitabeh. Das muss ein Unfall gewesen sein, eine andere Erklärung gibt es nicht.«
Taub für alle Argumente Suvaïdars, hielt Oda an seiner Überzeugung fest.
Sie war verzweifelt und fragte sich, wem sie sich auf diesem verfluchten Planeten anvertrauen könnte. Wenn selbst Oda, ihr Bruder, der die Matte mit ihr teilte – ihr Liebster, ihr einziger Freund –, ihr nicht glaubte, würde kein anderer Shiro ihr Gehör schenken.
Und trotzdem, sagte sie sich, hat die Asix-Familie auf dem Bauernhof meine Behauptungen nicht angezweifelt.
Sie ließ Oda stehen, ohne sich von ihm zu verabschieden, so wütend war sie. Ganz von selbst suchte sie den Weg zu jenem Menschen, dem sie von klein auf stets vertraut hatte: Tarr.
Bald darauf stand sie, in ihren Mantel gehüllt und mit Schutzmaske, damit niemand sie erkannte, auf der Schwelle der Akademie. Sie erinnerte sich daran, wie kalt Tarr sich ihr gegenüber verhalten hatte, als sie sich das erste Mal wiedergesehen hatten, und mit welcher skandalösen Unhöflichkeit sie ihn beim letzten Zusammentreffen behandelt hatte. Sie würde ihm die vollständige Geschichte erzählen, ohne Namen zu nennen. Sie war neugierig, wie er das Ganze interpretieren würde.
Tarr saß in seinem kleinen Zimmer. Suvaïdar verharrte auf der Schwelle. Er warf ihr einen eindringlichen Blick zu und sagte: »Mach die Tür hinter dir zu, wenn du mich privat sprechen willst, Suvaïdar Adaï.«
Sie gehorchte, ohne ihn danach zu fragen, wieso er sie trotz Gesichtsmaske erkannt hatte. Dann wiederholte sie in abgehackten Sätzen, was sie bereits Oda erzählt hatte. Tarr schien nicht im Geringsten überrascht zu sein, dass man versucht hatte, sie zu töten. Doch als sie ihm von ihrem Verdacht erzählte, den sie den Burs gegenüber hegte, schüttelte er den Kopf.
»Eronoda Bur? Das ist absurd! Warum sollte sie das getan haben? Das Einzige, was sie interessiert hat, waren Handelsprodukte und dieses dumme überflüssige Zeugs, das sie bei den Sitabeh gekauft hat, ohne dass jemand davon wusste. Zumindest hat sie geglaubt, dass niemand darüber Bescheid wusste. Sie hat die ehemalige Sadaï gern zum Narren gehalten, nachdem diese sich nichtmehr in ihren kleinen Handel eingemischt hatte. Ich weiß nicht, Suvaïdar, wer dich töten wollte. Ihr Shiro habt die ausgeprägte Fähigkeit, euch Feinde zu machen. Doch ich bin überzeugt, dass eine Traditionalistin dahintersteckt, eine Saz Adaï, die auch das Attentat auf Haridar angezettelt haben muss. Sie haben niemals revolutionäre Ideen geschätzt.«
Suvaïdar hielt Tarrs Theorie anfangs für zu weit hergeholt, doch je länger sie darüber nachdachte, desto weniger absurd erschien sie ihr.
»Also wer? Die größte Traditionalistin war Tsune Ricardo. Aber ich kann nicht glauben, dass sie dahintersteckt. Sie hatte einen ausgeprägten Sinn für Humor.«
»Stimmt. Tsune Ricardo war es garantiert nicht. An wen denkst du noch?«
»An einen der Alten. Die Männer haben immerzu versucht, standhafter aufzutreten, als es nötig
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