Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
erloschenen Zivilisationen beschreiben, indem ich ihre Kohärenzfaktoren und ihre soziale Interaktion darstelle. Gibt es dazu Fragen?«
Professor Li Hao warf einen hoffnungsvollen Blick auf den Monitor, aber es kam kein Signal. Er unterdrückte einen Seufzer und fuhr fort:
»Die ersten zehn Stunden werden Landsend gewidmet sein, eine Welt, deren Werte euch nicht gänzlich fremd erscheinen dürften. Wie ihr wisst, wurde Neudachren von den Dissidenten Landends gegründet. Deshalb sind euch die Prinzipien, auf die sich das Leben auf diesem Planeten gründete, mehr oder weniger bekannt. Gewiss, vor den großen Kriegen war die Theokratie von Landsend sehr viel unnachgiebiger als unsere heutige Gesellschaft, und wohl kaum einer von euch hätte dort leben wollen.«
Li Hao kicherte. Bei den Zuhörern erweckte dies den Eindruck, als nehme er das Ganze selbst nicht allzu ernst. Er fuhr fort:
»Orivaï wird ein etwas heikleres Kapitel. Denn die Ideologie dieser hedonistischen Gesellschaft, in der es ausschließlich um das Vergnügen ging, hat sich in Richtungen entwickelt, die weit von unserer Mentalität entfernt sind. Mitunter empfinden wir diese sogar als verabscheuungswürdig, doch der Geist der Wissenschaft sollte uns davor bewahren, eine zu voreilige, harte Analyse zu treffen. Ich habe mich entschlossen, das Thema zu behandeln, wenn ihr euch mit den Begriffen dieses Wissenszweiges, mit denen ihr hier erstmals konfrontiert werdet, vertraut gemacht habt. Im nächsten Jahr werden wir einige überaus interessante altertümliche Gesellschaften aus der Ära vor der Raumfahrt untersuchen. Seht euch die wenigen ›prähistorischen‹ Dokumente an, die euch zur Verfügung stehen. Ich bin sicher, ihr werdet begeistert sein.«
Der Monitor begann zu blinken.
Eine Minute, 59 Sekunden, 58 Sekunden ...
Li Hao stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Endlich hatte diese Tortur ein Ende. Er gab noch einige Banalitäten von sich, um die Zeit totzuschlagen. Als das Licht rot leuchtete, ließ er sich in seinen Sessel fallen.
Die künstliche Intelligenz der Universität ließ mitten im Raum das Hologramm erscheinen, das er sich selbst ausgesucht hatte: eine Herrscherfigur. Mit ihrer extravaganten Robe, die bis zum Boden reichte, ähnelte sie einem Präsidenten der Föderation aus der Ära vor der Raumfahrt. Der Professor hatte dieses Bild in einem Holo-Cube einer sehr alten Gesellschaft des Ursprungsplaneten entdeckt.
»Ein ausgezeichneter Kurs«, teilte sein »Herrscher« höflich mit.
»Danke, Majestät«, entgegnete Li Hao.
Natürlich war er selbst es gewesen, der diesen Kommentar einprogrammiert hatte, aber es war nun mal schön, das Gefühl zu bekommen, dass zumindest eine Person seinen Ausführungen gefolgt war.
»Kannst du mir sagen, wie viele Studenten dem Unterricht gefolgt sind?«, fragte Li Hao.
War ein Holo-Bild in der Lage, einen väterlichen Vorwurf auszudrücken? Seines konnte es auf jeden Fall:
»Sie wissen recht gut, Professor, dass eine derartige Information nicht den Weisungen des Universitätsrates entspricht. Wenn Lehrer erfahren, dass ihnen eine große Zahl von Studenten folgt, neigen sie dazu, nervös zu werden. Und die Professoren, die nur wenige Zuhörer haben, werden womöglich depressiv. Und in einem Fall wie dem Ihren geht es eindeutig zu Lasten der Qualität des Unterrichts.«
»Gut, einverstanden, aber du kannst mir vielleicht sagen, ob mir wenigstens eine Person bis zum Schluss zugehört hat? Oder ist auch das eine Information, die der Geheimhaltung unterliegt? Top Secret, sozusagen?«
»›Top Secret‹ – das ist reizend! Das ist wieder so ein Wort, das Sie bei Ihren Studien der Prähistorie entdeckt haben«, entgegnete die künstliche Intelligenz, wobei sie das Gespräch geschickt in eine andere Richtung lenkte. Sie wusste im Übrigen sehr genau, wo der Professor all diese amüsanten archaischen Ausdrücke gefunden hatte, mit denen er seine Diskurse spickte, denn sie hatte das ganze Dossier gespeichert.
Li Hao seufzte.
»Verschwinde, du gehst mir auf die Nerven!«
»Ich werde Ihnen gehorchen, aber ich muss Sie darüber informieren, dass eine Nachricht von der planetarischen Regierung für Sie bereitliegt. Soll ich sie an Sie weiterleiten?«
Er wollte gerade »Ja« sagen; dann aber fiel ihm ein, dass dann die gesamte Universität Zugang zur Nachricht haben könnte – und Gott allein wusste, um was oder wen es dabei ging. Wahrscheinlich um seinen Sohn, der wieder mal Unfug angestellt
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