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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
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hatte.
    »Leite sie auf mein Computersystem zu Hause, ohne sie zu öffnen«, befahl er. »Und dann verschwinde.«
    Rasch wischte er sich das dumme weiße Make-up aus dem Gesicht, das der Universitätsrat Professoren abverlangte, die Kurse gaben. Als könnte ein Mann mit seiner Hautfarbe und seinem Haar – ganz zu schweigen von seinen Mandelaugen –, sich als Bürger Neudachrens mit tadellosem Stammbaum ausgeben!
    Dann ging er rasch zur Terrasse des Gebäudes, um in eine Luftraumkapsel zu steigen.
    Während er mit dem Antigrav aufstieg, dachte er über sein Leben nach. Das Ergebnis seiner Gedankenspielereien gefiel ihm überhaupt nicht: Er war kaum mehr als vierzig Jahre alt und fühlte sich schon in die Jahre gekommen. Außerdem war er seiner Arbeit an der Universität überdrüssig geworden, die ihm immer trockener und realitätsferner erschien.
    Wie er im Zuge seiner Studien festgestellt hatte, waren die Lehrenden in früheren Zeiten physisch in dem Raum gewesen, in dem auch die Studenten saßen. Gewiss hatte es damals nur wenige Stundenten gegeben – sechs oder neun, höchstens ein Dutzend –, aber Li Hao fragte sich, welche Auswirkung es haben könnte, die Menschen, zu denen man sprach, auch zu sehen . Heute hatte er nur das grüne Licht des Holo-Schreibers im Blick, ohne zu wissen, ob man ihn direkt sah oder ob überhaupt jemand im Verlauf des nächsten Jahrtausends diesen Holo-Cube aufsuchen würde.
    Nachdem die Raumkapsel Li Hao auf der Terrasse seines Hauses abgesetzt hatte, konnte er eine zornige Geste nicht unterdrücken: Der rhythmische Lärm, den man bis zum Dach hörenkonnte, ließ ihn erkennen, dass sein Taugenichts von Sohn im Hause war. Neunzehn Jahre alt und immer noch in der Pubertätskrise – ohne irgendwelche Anstalten zu machen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Li Hao hoffte, dass wenigstens seine Frau nicht da sein würde – aber das Erste, was er beim Betreten des Hauses vernahm, war ihre weinerliche Stimme. Sie wandte ihm den Rücken zu und sprach via Holo-Kommunikator mit einer ihrer schwachsinnigen Freundinnen.
    Li Hao seufzte. Für ihn waren alle Frauen austauschbar. Alle, die dem sogenannten schönen Geschlecht angehörten, konnten ihr Aussehen nur mit sorgfältiger Pflege und dem Können eines guten – und teuren – plastischen Chirurgen bewahren. Alle waren sie auf ein und dieselbe Art gekleidet und hatten die Haare silberblond gefärbt, um die Aristokratie Neudachrens nachzuäffen.
    »... ein wirklich schrecklicher Kerl, meine Liebe«, jammerte Feng einer Freundin vor.
    Besagte Freundin, die Li Hao in einer Ecke des Bildschirms entdeckt haben musste, machte mit einer stummen Geste und vielsagenden Blicken auf ihn aufmerksam. Feng begriff sofort. Hatte sie zuvor über ihn, ihren Mann, genörgelt, wechselte sie jetzt hastig das Thema.
    Vor zwanzig Jahren war Feng ein kleines, graziles Ding gewesen, wenig beredt und sehr ernsthaft, das Li Haos Beschützerinstinkt angesprochen hatte. Aber mit den Jahren war ihm klar geworden, weshalb sie so wenig sprach. Sie hatte einfach nichts zu sagen. Und ernsthaft war sie auch nicht, sondern mürrisch. Trotz ihres Alters war sie zwar immer noch grazil, aber das Verlangen war erloschen und hatte der Langeweile Platz gemacht.
    Feng hatte sich entschieden, nicht zu arbeiten, um sich aus Respekt vor den ethischen Grundsätzen der Religion, wie sie stets märtyrerhaft betonte, ganz und gar der Familie widmen zu können – auch wenn ihr Ehemann fand, sie sei einfach nur zu faul, um zu arbeiten. Und hätte sie sich weniger um ihren Sohn gekümmert, wäre der Junge vielleicht nicht so verwöhnt und unselbstständig.
    Ohne stehen zu bleiben, hob Li Hao die Hand zum Gruß undging in sein Büro, um – das Schlimmste befürchtend – die Botschaft zu öffnen. Es war keine gesprochene, sondern eine schriftliche Mitteilung, also musste es sich um etwas Offizielles handeln.
    Im ersten Augenblick verstand Li Hao in wachsender Ungläubigkeit erst gar nicht, was er da las, dann aber gelang es ihm doch, den Sinn der bürokratischen Umschreibung zu erfassen.
    Er war zum Kulturattaché der föderalen Botschaft auf Ta-Shima ernannt worden.
    Was könnte das für eine Botschaft sein?, fragte er sich. Und was genau könnte dieser Attaché denn so machen? Und überhaupt – wo befand sich Ta-Shima? Das konnte nur ein dummer Scherz seiner Studenten sein. Schnell überlas er den Rest: Sollte er die Ernennung nicht akzeptieren, bitte man ihn, dies sofort der

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