Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Leben hoffen? Es gibt gerade einmal drei oder vier in einem Jahrhundert. Und wir hatten sowenige Freiheiten! Immer waren da nur die Pflicht und das ewigen ›Denk daran, du bist eine Shiro‹. Ich wollte das Fest mit jemandem verbringen, den ich kenne und in dessen Gesellschaft ich mich wohl fühle. Ich wollte mit jemandem zusammen sein, bei dem ich mich gehen lassen konnte. Ich wollte keinen fremden Jestak, der womöglich verklemmt und förmlich gewesen wäre. Bestimmt hätte die alte Huang dieses Treffen zu jedem anderen Zeitpunkt arrangieren können, aber sie hat ganz bewusst dieses Ereignis ausgesucht, um mir wieder einmal ihre absurde Shiro-Disziplin abzuverlangen.«
»Shiro Adaï!«, sagte Oda mit vorwurfsvollem Beiklang.
»Du hast recht. Es ist nicht richtig, dass ich so rede. Damit gehe ich das Risiko ein, die gestrengen Traditionalisten zu beleidigen, die bekanntlich am wenigsten zu Kompromissen bereit sind, und die immer als Erste den Dolch zücken. Ich werde in Zukunft vorsichtiger sein. Aber es ist wichtig, dass ich ich selbst sein kann. Und das kann ich nur mit jemandem, der auf mich eingeht. Und jetzt, wo Mich’l tot ist und ich selbst nicht mehr weiß, wo meine Sei-Hey sind ... könnten wir nicht Freunde sein, du und ich? Allerdings musst du mir zugestehen, dass ich mich von Zeit zu Zeit gehen lasse, denn ich besitze keine so untadelige Selbstbeherrschung wie du.«
»Einverstanden, lass uns Freunde sein«, erwiderte er von ganzem Herzen.
»Und könntest du dich auch ein kleines bisschen gehen lassen?«
»Ich bin, wie ich bin, O Hedaï. Wie kann ich da lockerer werden?«
»Ich weiß es nicht. Versuch doch einfach, mich bei meinem Vornamen zu nennen. Oder du könntest lachen oder deinen Arm um meinen Hals legen ... Nein, ich glaube nicht, dass du das kannst«, fügte sie hinzu, nachdem sie versucht hatte, es sich vorzustellen.
Schweigend blieben sie nebeneinander sitzen und nippten an ihrem Getränk. Es schmeckte nicht besonders gut, aber es war auf angenehme Weise erfrischend.
Einer der Soldaten der Botschaftereskorte steckte den Kopf durch die Tür. Die beiden Ta-Shimoda musterten ihn unwirsch.Mittlerweile hatte sich herumgesprochen, dass das Militär systematisch die Regeln der Höflichkeit verletzte. Die Soldaten traten ein, ohne anzuklopfen, oder sie rempelten die anderen im Flur mit einem Ausdruck der Verachtung und Arroganz an, als hätten sie nur auf die erstbeste Gelegenheit gewartet, einen Streit vom Zaun zu brechen.
»Wer von Ihnen beiden ist der Passagier, der sich mit Frau Rasser in der Universalsprache unterhalten hat?«, fragte der Soldat, wobei er von einem zum anderen schaute.
»Das war ich«, entgegnete Oda.
»Seine Exzellenz wünscht Sie zu sprechen.«
»Gern. Dann soll er kommen.«
»Halten Sie es nicht für unangebracht, dass er hierherkommt? Sie müssen sich in die Kabine des Botschafters begeben.«
»Wieso? Ist er krank?«
»Du lieber Himmel, nein. Warum fragen Sie?«
»Wenn er nicht zu krank zum Gehen ist und mich sehen möchte, muss er schon hierherkommen«, erklärte Oda. Dann wandte er dem Mann den Rücken zu, ohne weiteres Interesse an dem Gespräch zu signalisieren.
Der Soldat machte drohend einen Schritt nach vorn. Aber da die ängstliche Reaktion ausblieb, mit der er gerechnet hatte, blieb er zögernd stehen. Dann drehte er sich auf der Stelle um und verschwand.
»Ist es wirklich nötig, dass man ihm eine solch schnodderige Nachricht überbringt?«, fragte Suvaïdar.
»Was willst du damit sagen? Er will mich sprechen. Da ist nur recht und billig, wenn ich von ihm erwarte, dass er sich in Bewegung setzt.«
»Die Fremden aus der Außenwelt denken nicht so, das solltest du wissen. Der Botschafter ist eine wichtige Person. Er erwartet, dass alle ihm gehorchen.«
»Vielleicht ist er auf seinem Planeten von Bedeutung, aber ich bin ein Shiro und betrachte ihn als Untergebenen. Wenn er auf Ta-Shima leben möchte, sollte er sich beizeiten an unsere Betrachtungsweise gewöhnen. Der alte Botschafter hat das getan.«
Auf dem Gang herrschte ein wildes Durcheinander. Plötzlich betrat eine Gruppe aus der Außenwelt den Raum: Der Botschafter, begleitet vom Kapitän und zwei Soldaten, gefolgt von Professor Li. Kurze Zeit später kam auch der Kommandant im Laufschritt herbei. Irgendjemand hatte ihm zu verstehen gegeben, dass sein Anwesenheit opportun sei.
Suvaïdar und Oda standen nicht auf, wie es nach der Tradition ihrer Besucher erforderlich gewesen wäre. Sie
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