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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
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hatte er immer nur die kurze, protokollarische Lippenbewegung gemacht, die üblich war.
    »Ich brauche deine Hilfe«, fuhr Suvaïdar fort. »Ich habe mit der Zeit vergessen, wie eine Ta-Shimoda sich zu verhalten hat. Du musste mir wieder Manieren beibringen, und zwar schnell, bevor wir ankommen. Ich habe keine Lust, von Bord zu gehen undmich in einem stumpfsinnigen Duell wiederzufinden. Obwohl ich deine ältere Schwester bin, erteile ich dir die Erlaubnis, mich so zu behandeln, als wärst du die Saz Adaï und ich eine junge Frau ohne Erfahrung. Und jetzt gib mir eine Ohrfeige, bitte!«
    »Was? Ich soll dir eine Ohrfeige geben? Das könnte ich nie ...«
    Oda war geschockt. Suvaïdar seufzte tief und erinnerte sich daran, dass auf ihrem Planeten die Asix das Monopol in Sachen Sinn für Humor besaßen.
    Oda schaute sie mit seiner gewohnten Ernsthaftigkeit aufmerksam an.
    »Dein Haar«, sagte er.
    »Ich weiß«, entgegnete sie mit Bedauern. Sie hatte ihr Haar aus Protest gegen die Tradition wachsen lassen und sich schließlich daran gewöhnt. »Du hast doch dein kurzes Messer dabei, oder?« Sie zeigte auf das in den Falten seiner Tunika versteckte Futteral.
    Oda nickte, und Suvaïdar löste ihr Haar, das ihr wie ein Wasserfall über den Rücken fiel. Oda ergriff die Haare seiner Schwester und wand sie um sein Handgelenk; dann schnitt er sie sauber und ordentlich mit dem kurzen Messer ab – eines jener scharfen Messer, ohne die ein Ta-Shimoda niemals das Haus verlässt. Er warf einen Blick auf den schwarzen, leuchtenden Haarstrang, der in seinen Händen lag und meinte: »Es ist schon merkwürdig, einen Erwachsenen mit langem Haar zu sehen.« Dann warf er die Haare in den Desintegrator.
    Danach versuchte er, den Schnitt noch ein wenig zu begradigen. Zum Schluss prüfte er kritisch sein Werk. Als er seine Schwester anständig auf den Knien sitzen sah, mit geradem Rücken, die Hände auf den Oberschenkeln, war er zufrieden. Man hätte sie ohne Weiteres für eine traditionelle Shiro-Dame halten können. Ihr Blick jedoch verriet sie.
    »Dein Ausdruck ist unpassend. Er ist viel zu lebhaft. Du musst versuchen, dich innerlich leer zu machen.«
    »Wie soll das denn gehen?«
    »Stell dir einfach vor, du hättest die alte Huang vor dir«, schlug Oda vor und sah, wie die Augen seiner Schwester mit einem Mal undurchdringlich und ausdruckslos wurden.
    »Perfekt«, sagte er zufrieden. »Man könnte glauben, du verachtest sie.«
    »Natürlich verachte ich sie! Sie ist eine kleingeistige, engstirnige Autokratin! Würde sie selbst die Regeln respektieren, die sie anderen auferlegt, wäre sie die längste Zeit an der Macht gewesen. Dann müsste sie den Platz räumen für jemanden, der kompetenter ist als sie. Aber das ist ihr Problem, nicht meines. Jedenfalls hat sie mich praktisch genötigt, Ta-Shima zu verlassen. Ich bin immer noch der Ansicht, dass es von ihrer Seite mehr als überzogen war, mir mit dem Ausschluss aus dem Clan zu drohen. Und das Ganze wegen einer Eskapade, die vier Tage gedauert hat.«
    Oda wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Wie anderen jungen Huang war es auch ihm mehr als einmal passiert, dass er eine Entscheidung der alten Dame ungerecht fand. Manchmal hatten sie es sogar gewagt, untereinander eine schüchterne Kritik an der Alten zu äußern, und insgeheim hatten sie sich über sie lustig gemacht: »Saz Adaï« hatten sie sie genannt, »alter Drache«. Nichtsdestotrotz hatte nur seine Schwester gegen sie zu rebellieren gewagt. Auf der einen Seite verstieß ein solches Verhalten zwar gegen Odas gesamte Erziehung, auf der anderen Seite aber hegte er einen Hauch von Bewunderung für jemanden, der imstande war, die alten Traditionen über Bord zu werfen. Genauso, hieß es, hätte es ihre Mutter gemacht.
    »O Hedaï«, sagte Oda freundlich, »ich gehöre ganz sicher nicht zu denen, die die alte Huang bewundern, aber in deinem Fall war es nicht bloß eine Eskapade. Du bist ohne Erlaubnis davongegangen, als sie gerade ein Treffen mit dem Clan Jestak to Gonzalo organisiert hatte, um ein berufliches und reproduktives Band für dich zu schnüren. Als alle Welt auf dich gewartet hat, hattest du nichts Besseres zu tun, als mit deinem schrecklich behaarten Asix in den Bergen zu verschwinden.«
    »Er war weder schrecklich noch behaart!«, protestierte Suvaïdar heftig, dachte kurz nach und fügte dann leiser hinzu: »Behaart vielleicht. Aber es war die Nacht der Vier Monde, Oda. Auf wie viele solcher Nächte kann man im

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