Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
denn dort bestand nicht die Gefahr, dass einer ihrer Kameraden sie zufällig entdeckte. Laut Borduhr des Raumschiffes war jetzt Nacht, und kaum ein Mensch hielt sich in den Gängen auf. Auf diese Weise würdensie ein wenig Zeit gewinnen, um zu entscheiden, was weiter zu tun sei.
Suvaïdar sah, wie der Chefmechaniker zitterte, wahrscheinlich noch immer vor Wut. Möglicherweise stand er auch unter Schock. Sie beschloss, ihn wieder auf seinen Posten zu schicken, denn ein Asix, der eine Anweisung erhielt, konzentrierte sich voll und ganz darauf und dachte vorerst an nichts anderes.
»Keri wird heute Nacht hier schlafen«, teilte sie ihm mit. »Ich möchte ein Auge auf sie haben, denn es könnte sein, dass sie weitere Behandlungen benötigt. Such mir bitte eine Hängematte. Und gehe auf die Krankenstation und hole mir das hier.«
Sie zählte die Namen mehrerer Medikamente auf. Der Chefmechaniker wiederholte jeden Namen zweimal, um sicher zu sein, sich nicht zu irren. Dann verließ er das Zimmer. Sein Zorn stieg wieder in ihm hoch – und mit ihm das Entsetzen und die innere Leere. Zugleich fühlte er sich erleichtert, dass ein anderer jetzt die Entscheidungen traf und ihm sagte, was er zu tun hatte.
Als Keri mit Suvaïdar allein war, brach sie in Tränen aus.
»Shiro Adaï«, sagte sie schluchzend, »ich schäme mich so.«
»Weshalb? Du hast nichts Schlimmes getan. Wärst du auf dem Land von einem Reyo angegriffen worden, und wäre dein Körper übersät mit Kratzern und Bissen – würdest du dich dann schämen, oder wärst du einfach nur wütend darüber, dass er dich angegriffen hat?«
»Das kann man nicht vergleichen. Ich habe sechs Kinder, und ich hatte in meinem Leben so viele Partner, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Manchmal war es schön, manchmal langweilig, aber so ... Ich habe nicht gewusst, wie weh das tut. Und sie haben gelacht, Shiro Adaï, die ganze Zeit! Immer, wenn ich vor Schmerzen geschrien habe, haben sie gelacht!«
Die Asix drehte den Kopf zur Wand. Suvaïdar streichelte ihr sanft übers Haar, bis der Chefmechaniker zurückkam und ihr brachte, was sie ihm aufgetragen hatte. Schnell brachte er die Hängematte an; dann half er Suvaïdar, Keri mit einem nassen Handtuch abzuwaschen und Balsam auf die schlimmsten Prellungen aufzutragen. Anschließend assistierte er Suvaïdar, als sie den Bissund die Kratzer an den Oberschenkeln desinfizierte. Dann legten sie Keri in die Hängematte. Suvaïdar fragte sie, ob sie etwas gegen den Schmerz haben wolle. Die junge Frau schüttelte den Kopf und antwortete, dies sei nicht nötig. Doch sie ergriff die Hand des Chefmechanikers. Der blieb neben der Hängematte stehen und sprach mit ihr. Seine normalerweise laute, befehlsgewohnte Stimme war zu einem tröstenden Raunen geworden. Keri beruhigte sich, schreckte dann aber wieder auf. Ihr war etwas eingefallen.
»Shiro Adaï«, sagte sie ängstlich, »ich habe kein verhütendes Implantat. Werde ich jetzt ein Kind mit strohigem Haar bekommen?«
»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte Suvaïdar sie. »Du weißt, in ein paar Tagen sind wir am Ziel unserer Reise. Dann gehst du sofort ins Lebenshaus, und die Jestaks werden sich deiner annehmen.«
Mit einem Lächeln blickte der Chefmechaniker die Shiro-Dame entschuldigend an. Dann liebkoste er mit seiner großen Pranke ungeschickt Keris Kopf. Er versprach ihr, dass sie ihre Runden auf dem Raumschiff nie wieder allein machen müsse und dass sie bis zur Ankunft jede Nacht die Hängematte mit ihm teilen könne, wenn es sie beruhigte.
Tichaeris und Oda kamen zurück. Sofort setzten sich die drei Shiro in eine Ecke der Kabine und hielten Rat. Die Soldaten waren mittlerweile in eine Kammer eingeschlossen worden. Vier Asix bewachten sie. Für den Moment hatten sie ihre Überheblichkeit verloren, aber was würde geschehen, wenn sie wieder frei waren?
»Chef?«, fragte Tichaeris. »Können wir dem Kommandanten vertrauen?«
»Ja, Tichaeris Adaï. Er hat ein Kind auf dem Planeten, und soviel ich weiß, bekommt er bald ein zweites. Wenn er an Land geht, wohnt er immer in dem Haus, das der Familie von Nim und Ivari in Niasau gehört. Er soll gut erzogen sein und sich wie ein wahres menschliches Wesen verhalten. Nie beleidigt oder beschimpft er jemanden. Nie ist er betrunken oder schreit herum. Er ist Nims Gefährte und beteiligt sich auch an der Hausarbeit.«
Bei dieser Beschreibung musste Suvaïdar unwillkürlich lächeln. »Du scheinst ihn ja ziemlich gut zu kennen.
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