Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
werden dann den Akademien anvertraut, wo sie lernen müssen, sich zu behaupten. Gelingt es ihnen nicht, müssen sie sterben. Erfolg hat nur, wer seinen Instinkten gehorcht. Deshalb glaube ich nicht, dass diejenigen, die sich beherrschen können, in der Mehrheit sind.«
»Lass die philosophischen Ausführungen, O-Hedaï. Versuche lieber, eine praktikable Lösung zu finden. Was sollen wir jetzt tun? Wenn die Soldaten erst wieder frei sind, werden sie sofort die Dinge aus ihrer Sicht erzählen. Und die Außenweltler glauben ihren Landsleuten nun mal mehr als einer Asix. Sie werden für die Besatzung einen Schauprozess veranstalten und die Schuldigen ein paar Jahre in eines ihrer Gefängnisse sperren, aber nicht für immer.«
»Wir können die fünf Kerle aber nicht weitere zehn Tage in der Kammer gefangen halten«, entgegnete Suvaïdar. »Ihre Kameraden werden sich auf die Suche nach ihnen machen, und so groß ist ein Raumschiff nun auch wieder nicht. Kann das Ganze nicht als Prügelei durchgehen?«
»O nein! Der Chefmechaniker ist regelrecht Amok gelaufen.«
Suvaïdar nickte. Sie hatte bereits gehört, wie andere Asix sich über den Tobsuchtsanfall ihres Chefs unterhalten hatten. Wäre ein Shiro zugegen gewesen, hätte der Chefmechaniker sicher nicht diesen Anfall erlitten. Er hätte bestimmt einen Außenweltler getötet, hätte man ihn dazu aufgefordert, weil es seine Pflicht gewesen wäre. Ansonsten jedoch hätte er sich ruhig verhalten.
»Wenn wir sie weder frei lassen noch einsperren können«, fasste Tichaeris zusammen, »gäbe es noch die Lösung, sie aus dem Raumschiff zu entfernen.«
»Es leuchtet ein, dass wir sie bei der Ankunft aussteigen lassen müssen, aber ...«
»Nicht bei der Ankunft. Jetzt sofort.«
Suvaïdar riss die Augen auf, und ein saurer Geschmack stieg ihr vom Magen in den Mund. »Wir können sie doch nicht umbringen!«
»Fällt dir vielleicht etwas Besseres ein? Zweifellos wird es bei dieser Geschichte Opfer geben. Ich ziehe es vor, dass diese fünf Vergewaltiger die Opfer sind und nicht Keri, der Chefmechaniker und die vier anderen Asix.«
Sie nannte die Namen der vier Besatzungsmitglieder, die Keri zu Hilfe geeilt waren. Suvaïdar kannte sie selbstverständlich gut: Sie hatte mit ihnen im Fechtraum trainiert, hatte mit ihnen geplaudert, hatte ihre täglichen Angebote abgelehnt, ihr zu Diensten zu sein und hatte mit ihnen die Mahlzeiten in der Vorratskammer geteilt, die der Besatzung zugewiesen worden war. Mit einem von ihnen hatte sie sogar die Hängematte geteilt.
Suvaïdar versuchte, sich alle während eines Prozesses vorzustellen. Ein Prozess, in dem sie nicht einmal verstehen würden, weshalb sie angeklagt wurden. Ein Prozess, in man ihre Schuldhaftigkeit im Amt feststellen würde. Man würde sie in einen Hochsicherheitstrakt in einem der Gefängnisse der Föderation überstellen. Inmitten einer Heerschar von Schwerverbrechern würden sie nicht überleben – nicht die Asix, die trotz ihrer beeindruckenden körperlichen Stärke so harmlos wie junge Hunde waren, wie alle Shiro wussten. Sie waren herzlich, ohne dass man sie ermutigen musste; sie zeigten Anteilnahme den Schwächeren gegenüber und beschützten sie. Aus diesem Grunde vertrauten die Clans ihre Kinder und Tiere den Asix an.
Angesichts der willkürlichen Gewalt und der unmotivierten Aggressionen, die in den Gefängnissen an der Tagesordnung waren, würden sie nicht darauf zu reagieren wissen. Sie wären wie Keri verwirrt und verängstigt. Sie würden sich in sich selbst zurückziehen und im Laufe der Zeit zugrunde gehen und sterben. Oder sie würden den Verstand verlieren, und ein Gefangener oder Wächter würde sie umbringen und sich auf Selbstverteidigung berufen. Den Dingen ihren freien Lauf zu lassen hieße, die Asix zum Tode zu verurteilen.
»Nein, nein, das geht nicht«, sagte Suvaïdar, ihre Gedanken weiter verfolgend.
Die beiden anderen verstanden trotzdem, was sie sagen wollte, weil sie sich ähnliche Gedanken gemacht hatten.
»Wir sind für die Asix verantwortlich«, fasste Suvaïdar zusammen.
Die anderen nickten zustimmend. Das war eine der Forderungen des Shiro-Kodex.
»Deshalb müssen wir es tun«, fügte Oda hinzu.
Suvaïdar schwieg. Der Knoten in ihrem Magen hinderte sie daran, auch nur ein Wort hervorzubringen. Vorausgesetzt, sie hätte gewusst, was sie sagen sollte.
»Wollt ihr, dass ich mich der Sache annehme?«, fragte Tichaeris.
»Wir machen es zusammen. Fünf Männer allein, das kannst du
Weitere Kostenlose Bücher