Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Glaubst du, wir könnten ihn über die Situation informieren und um seinen Rat bitten?«
Der Asix überlegte einen Moment.
»Ich weiß es nicht, Shiro Adaï. Er hegt keine große Zuneigung gegenüber der Föderation, da bin ich mir sicher, aber er ist nun mal ein Fremder aus einer anderen Welt. Wenn er offen Stellung beziehen müsste, könnte es geschehen, dass er nie wieder eine Arbeit bekommt.«
Suvaïdar stand auf, um nach Keri zu sehen. Sie hatte ihr einen süßen Trank zur Beruhigung gegeben, in den sie ein Schlafmittel gemischt hatte. Die junge Frau, an Neuroleptika nicht gewöhnt, schlief bereits tief und fest.
»Du kannst jetzt gehen«, sagte sie zum Chefmechaniker. »Sie wird mindestens sechs Stunden schlafen. Komm wieder, wenn sie aufgewacht ist. Sie braucht dann das Gesicht eines Freundes neben sich. Ist sie deine Partnerin?«
»Nein, Shiro Adaï. Ich hätte das Gleiche für jeden anderen Ta-Shimoda getan. Nur, vielleicht habe ich ein bisschen zu viel getan ...«
Er warf den drei Shiro einen ängstlichen, fragenden Blick zu.
Oda beruhigte ihn. »Deine Reaktion war ganz normal. Die Soldaten haben ein Verbrechen begangen, nicht du.«
Als die Tür hinter dem Asix ins Schloss fiel, bemerkte Tichaeris: »Vielleicht ist es keine so gute Idee, den Asix zu erlauben, für die Außenweltler zu arbeiten. Sie wissen nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen. Und sie tun Dinge, die gegen ihre Natur sind ... gegen die Natur fast aller Asix. Win ist ein Fall für sich, der einzige Asix, den ein Clan notgedrungen einer Akademie anvertraut hat, aber trotzdem ... Du hast eine Nacht mit ihm verbracht, nicht wahr? Ich bin sicher, dir ist es nicht schlecht ergangen.«
Suvaïdar bewunderte Tichaeris dafür, wie es ihm gelungen war, das Wort »Angst« zu vermeiden, und sie bestätigte: »Schlecht ergangen? Ich habe nie im Leben Angst vor einem Asix gehabt. Warum auch?«
»Genau. Man muss nur wissen, wie man mit ihnen umgeht. Win hat keinem von uns je etwas getan, und das Gleiche gilt für die Mitglieder der Besatzung. Aber sie sind hier in einer extrem angespannten Situation, ohne dass sie wissen, was vor sich geht. Und wenn sie die Orientierung verloren haben, können sie den Verstand verlieren. Wenn wir auf Ta-Shima sind, werde ich sie mit zur Akademie des Inneren Friedens nehmen. Lehrer Huang weiß, was in solchen Fällen zu tun ist.«
Oda war seiner Meinung. Ein Asix-Lehrer wäre fähig, einer Gruppe seiner Artgenossen zu helfen, ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden, nachdem es ernsthaft aus den Fugen geraten war.
»Ich hatte immer den Eindruck, dass die Außenweltler Ignoranten und Barbaren sind«, merkte Oda an, »aber diese hier sind schlimmer. Sie sind wie Tiere. So etwas Grausames würde bei uns nicht geschehen.«
In gewisser Weise hat er recht, dachte Suvaïdar. In den relativ kleinen Städten, in denen das Clan-System und die Akademien ein komplexes Beziehungsnetz, wechselseitige Verpflichtungen und Loyalität aufgebaut hatten und pflegten, waren Taten von solcher Brutalität sehr selten. Die Streitigkeiten zwischen den Asix beschränkten sich schlimmstenfalls auf eine kleine Balgerei. Normalerweise regelten die Asix solche Dinge selbst. Sie besaßen einen ganzen Katalog pittoresker Drohungen, der verhinderte, dass Gegner handgreiflich wurden. Ganz offensichtlich jedoch zog Oda es vor, seine Augen vor gewissen Tatsachen zu verschließen.
»Wir, die Shiro«, widersprach Suvaïdar ihm, »sind stets bereit, den Säbel zu ziehen, für welche Beleidigung auch immer, ob schwer oder harmlos, echt oder eingebildet.«
»Ja, aber wenn wir uns duellieren wollen, muss es in einem Fechtsaal geschehen, vor den Augen des Lehrers und Meisters sowie der Schüler. So sind die Regeln. Ein Fechter, der seine Gegner systematisch tötet, hat seine Sache nicht verstanden.«
»Es stimmt schon, alle behaupten, es sei ehrenhafter, jemandem leichte Verletzungen zuzufügen, die schändlich sind – etwa eine Verletzung im Rücken –, als ihn zu töten. Aber du weißt sogut wie ich, dass viele Duelle tödlich verlaufen. Und Verbrechen und Reibereien gibt es bei uns auch, selbst wenn die genetischen Forschungen der Jestak dazu beitragen, sie auf ein Minimum zu reduzieren. Obwohl ich mir, ehrlich gesagt, keinen Asix vorstellen kann, der sich wie ein Tier verhält. Doch es kommt gar nicht so selten vor, dass junge Shiro die Neigung zur hemmungslosen Gewalt haben. Und diejenigen, die die Volljährigkeitsprüfungen bestanden haben,
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