Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesicht der Anderen

Das Gesicht der Anderen

Titel: Das Gesicht der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverly Barton
Vom Netzwerk:
sich um die vier Pferde und um das zweihundert Hektar große Grundstück. Luther war seit drei Jahren bei ihnen angestellt, seit der alte Toby Chapman in Rente gegangen war.
    “Morgen, Luther”, sagte Leslie Anne. “Wie geht's Passion Flower heute Morgen?”
    “Sie ist fit wie ein Turnschuh, Miss. Wollen Sie sie reiten?” Sein Pfannkuchengesicht und die großen Augen verliehen dem jungen Mann ein trollartiges Aussehen. Aber er war lieb und höflich und erledigte seine Arbeit gut.
    “Genauso ist es”, antwortet Leslie Anne.
    Inzwischen war auch Tessa im Stall angekommen und lächelte Luther zur Begrüßung zu.
    “Morgen, Miss Tessa. Wollen Sie auch ausreiten?”
    “Ja, Luther. Würdest du uns bitte die Pferde satteln?”
    Leslie Anne wirbelte herum, stemmte eine Hand in die Hüfte und sagte zu Tessa: “Vielleicht will ich aber allein sein?”
    “Du bist nicht in der Verfassung, um allein auszureiten.”
    “Ich mach schon nichts Bescheuertes, wie mich umbringen oder so was.”
    Oh Gott! Dachte ihr Kind wirklich an Selbstmord? Bitte nicht!
    “Du weißt doch, Reiten hilft mir beim Nachdenken. Das war schon so, als ich klein war. Aber jetzt bin ich kein Kind mehr, und du musst nicht immer mitkommen.”
    “Ich verstehe ja, dass du allein sein willst, aber nicht heute. Nicht, bis wir uns ausgesprochen haben und du verstehst, warum dein Großvater und ich dich all die Jahre angelogen haben.”
    “Ich verstehe das schon. Ihr wolltet nicht, dass ich weiß, dass ich das Kind eines Serienmörders bin, der dich vergewaltigt hat.”
    “Sprich doch leiser! Oder soll Luther dich hören?”
    “Was interessiert es, wer es alles weiß? Ich weiß es. Ich weiß, dass ich das Kind eines Teufels bin und dass in meinen Adern böses Blut fließt!”
    Tessa packte ihre Tochter bei den Schultern und schüttelte sie. “Sag das nie wieder! Hast du mich verstanden?”
    Leslie Anne riss sich von ihrer Mutter los. Der traurige und verwirrte Ausdruck in ihren Augen machte Tessa Angst. Sie wusste, wie es war, hilflos und hoffnungslos zu sein. Auch sie hatte sich oft die Frage gestellt, ob es sich noch zu leben lohnte. Wie konnte sie ihr Kind vor diesen gefährlichen Emotionen bewahren?
    “Da wären wir”, sagte Luther, als er zwei wunderschöne Araberpferde aus dem Stall führte.
    Ohne Tessa noch eines Blickes zu würdigen, stieg Leslie Anne auf und trieb Passion Flower zu einem Galopp an.
    “Ist alles in Ordnung mit Leslie Anne?”, fragte Luther ernsthaft besorgt. “Ich freue mich, dass sie wieder zu Hause ist.”
    Tessa sah Luther an und lächelte. “Sie ist schon okay. Die typischen Launen einer Sechzehnjährigen.” Je weniger Leute den wahren Grund von Leslie Annes Verschwinden wussten, umso besser.
    Luther erwiderte Tessas Lächeln. “Ja, Ma'am, das kenne ich. Meine Mom macht auch gerade eine harte Zeit mit meinen Schwestern durch. Die eine ist fünfzehn, die andere siebzehn.”
    Er führte das Pferd zu Tessa und übergab ihr die Zügel. Sie bestieg Mr. Wonderful, einen achtjährigen Wallach, den sie sich vor einigen Jahren ausgesucht hatte, nachdem ihre Stute im reifen Alter von fünfundzwanzig Jahren gestorben war. Reiten war eines der wenigen Dinge, die sie nach ihrem “Unfall” nicht wieder hatte lernen müssen. Immer noch kam ihr dieser Begriff – der Unfall – automatisch über die Lippen, ihre Lüge seit über siebzehn Jahren. Erzählte man eine Lüge nur oft genug, wurde sie beinah zur Wahrheit.
    Aber nicht nur das hatte Tessa festgestellt. Sondern auch, dass die alte Weisheit stimmt: Wer sich einmal auf eine Lüge eingelassen hatte, musste immer weiterlügen, um die erste Lüge zu vertuschen und nicht entdeckt zu werden. Manchmal kam es ihr selbst so vor, als könne sie Lüge und Wahrheit nicht mehr auseinanderhalten.
    Doch es gab eine Tatsache, an der auch ihre Lügen nichts ausrichten konnten – egal, wie sehr sie es sich wünschte und wie viele Geschichten ihr Vater erfand: Leslie Annes leiblicher Vater war Eddie Jay Nealy. Der Mann, der versucht hatte, sie zu töten. Der Mann, der vermutlich auch Dante Morans Verlobte ermordet hatte.
    Da sind sie, Mutter und Tochter, und reiten über die Wiese wie zwei verwöhnte Prinzessinnen, während ich mich hier in den Büschen verstecken muss wie ein wertloser Sklave. Wenn man sie so sieht, so stolz und königlich, käme keiner darauf, was die Wahrheit über die beiden Westbrook-Ladies ist. Aber ich kenne die Wahrheit. Und ich werde mein Wissen nutzen, um endlich

Weitere Kostenlose Bücher