Das Gesicht der Anderen
engagiert, dass ich diese geheime Akte besorge. Man hat mir gewisse Hintergrundinformationen über Ms. Westbrook zukommen lassen und mir gesagt, ich solle diese Info mit dem Inhalt der Akte vergleichen. Ich habe so etwas nicht zum ersten Mal gemacht, wissen Sie. Wäre ich nicht so vertrauenswürdig, würde keiner den alten Tug …”, er tätschelte seine Brust, “… um Hilfe bitten, wenn er mal etwas leicht Illegales zu erledigen hat.”
“Und hat die Krankenakte bestätigt, was man Ihnen gesagt hat?”, wollte Tessa wissen.
In diesem Moment brachte die Kellnerin die drei Eistee und stellte sie auf den Tisch. “Das Essen kommt auch gleich.”
“Danke”, sagten alle drei unisono.
Tug sah Tessa an. “Ja, Ma'am. Diese Akte …”, er deutete auf den Umschlag in Dantes Hand, “… beschreibt die traurigen Fakten. Frau, weiß, achtzehn Jahre alt, vergewaltigt, zusammengeschlagen … Es ist ein Wunder, dass Sie noch leben.”
Dante wollte keine weiteren Details hören, auch weil er sich Sorgen um Tessa machte, darum fragte er schnell: “Sind Ihnen irgendwelche Ungereimtheiten aufgefallen? Irgendetwas, das Sie aufmerken ließ?”
“Nein, nicht in der Krankenakte. Das werden Sie selbst feststellen, sobald Sie sie durchlesen.”
Dante war Tugs unausgesprochener Hinweis nicht entgangen. “Geben Sie mir einen Tipp. Was haben Sie noch?”
Tug grinste. “Bei solchen Jobs werde ich oft selbst gern ein bisschen kreativ. Und diese Kreativität wäre durchaus einen kleinen Bonus wert.”
“Extralohn für einen Extrahinweis. Verstehe ich Sie richtig?”
“Sie geben mir Ihr Wort darauf, dass der Scheck von Dundee, sagen wir mal, über einen Hunderter mehr als vereinbart ausgestellt wird, und …”
“Wenn Ihr Tipp tausend wert ist, bekommen Sie auch die”, unterbrach Dante ihn.
Die Kellnerin brachte ein mit Essen beladenes Tablett. “Dreimal das Mittagsmenü.”
Nachdem sie die Teller abgesetzt hatte, legte sie die Rechnung mit der Vorderseite nach unten neben Dante. “Wenn Sie noch Tee möchten …”, sie betrachtete die drei nicht angerührten Gläser, “… rufen Sie mich einfach.”
Tug hob sein Glas und nahm einen großen Schluck, dann wischte er sich mit dem Handrücken den Mund ab. “Der beste Eistee von Rayville.”
Weder Dante noch Tessa sagten etwas. Sie sahen Tug nur an.
Tug stellte sein Glas wieder hin, griff nach seiner Gabel und steckte sie in die grünen Bohnen auf seinem Teller. “Es gibt eine Frau – eine enge Freundin von mir, wenn Sie verstehen, was ich meine …”, Tug zwinkerte Dante zu, “… die im Archiv des Krankenhauses sitzt. Ihre Tante hat früher im Bestattungsinstitut Maitlands gearbeitet, sie heißt Deanetta Knight. Die alte Dame hat ein Gedächtnis wie ein Elefant. Sie vergisst nichts.” Tug steckte sich die Bohnen in den Mund und schob einen Löffel Kartoffelbrei hinterher. Während er kaute, beobachtete er Dante und schluckte dann. “Deanetta ist bereit, mit Ihnen zu sprechen, wenn Sie versprechen, dass Sie niemandem verraten, von wem Ihre Information stammt.”
“Was hat sie uns zu sagen, das hundert Dollar wert sein soll?” Dante war kurz davor, die Geduld zu verlieren.
“Das wird sie Ihnen schon selbst erzählen.” Tug legte seine Gabel weg und nahm sich das Hühnerbein vor. “Aber eins kann ich Ihnen sagen: Sie erinnert sich daran, dass auf der Interstate 20 vor etwa siebzehn Jahren ein Mädchen gefunden wurde. Das war in der Zeit, als Deanetta bei dem Bestatter gearbeitet hat.”
“Was hat das eine mit dem anderen zu tun?”, fragte Tessa.
“Passen Sie auf. Aaron Maitland, der Besitzer des Bestattungsinstituts, war damals der Leichenbeschauer des Countys”, erklärte Tug.
In Dantes Magengrube formte sich ein Knoten. “Und?”
“Und Deanetta erinnert sich daran, dass Sheriff Wadkins bei Aaron Maitland anrief, als am Straßenrand eine Leiche gefunden wurde.”
“Was ist daran so besonders?” Tessa sah erst Tug, dann Dante an. “Ist das nicht ganz normal, dass der Leichenbeschauer gerufen wird, wenn …”
“Ma'am. Die Leiche, die Aaron untersuchte, war eine junge blonde Frau, die vergewaltigt und totgeschlagen in den Straßengraben geworfen wurde.”
Tessa wurde weiß wie eine Wand. Verdammt! Sie sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.
Die kleine Schlange! Sie hat allen etwas vorgespielt. Aus der hysterischen, total durchgeknallten Göre soll plötzlich eine bewundernswert ruhige junge Lady geworden sein. So wie sie
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