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Das Gesicht der Anderen

Das Gesicht der Anderen

Titel: Das Gesicht der Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverly Barton
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sich heute Mittag benommen hat, käme keiner auf den Gedanken, dass sie auch nur im Entferntesten an Selbstmord denkt.
    Sie hat wirklich schauspielerisches Talent bewiesen. Oder hat sie gar nicht gespielt? Doch, auf jeden Fall. Meine schockierende Neuigkeit kann sie unmöglich so locker weggesteckt haben. Sie hat uns sicher was vorgemacht. Aber wieso? Ganz ohne Zweifel wegen G. W. Sie weiß ja, dass der alte Mann Herzprobleme hat. Alle wissen, dass sein Arzt ihm geraten hat, seine Laster aufzugeben, um einen Herzinfarkt zu vermeiden. Es ist vermutlich so, dass sie ihren Großvater so sehr liebt, dass sie ihm zuliebe diese Komödie spielt. Wie nett von ihr. Schließlich kann ich es nicht gebrauchen, dass G. W. stirbt. Zumindest jetzt noch nicht.
    Mein Plan, Leslie Annes Tod wie Selbstmord aussehen zu lassen, ist gut. Zu gut, um ihn zu verwerfen, nur weil sie heute geblufft hat. Ich muss sie einfach immer wieder daran erinnern, wer sie wirklich ist, welch teuflisches Blut in ihren Adern fließt. Und ich sollte ihr klarmachen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihr hässliches kleines Geheimnis herauskommt und alle erfahren, dass sie die Tochter von Eddie Jay Nealy ist.
    Vielleicht sollte ich sogar dafür sorgen, dass die lieben Verwandten von Tessas schmutziger Vergangenheit erfahren. Und das sollte geschehen, solange Tessa nicht in der Stadt ist.
    Hmm! Wie gehe ich am besten vor? Ein Anruf, bei dem ich meine Stimme genauso verstelle wie heute Morgen, als ich die schlafende Leslie Anne weckte? Meine Güte, es war so leicht gewesen, ungesehen in ihre Suite hinein- und wieder hinauszuschlüpfen. Und selbst wenn mich jemand gesehen hätte – wer hätte mir nicht geglaubt, dass ich nur nach Leslie Anne habe sehen wollen, weil ich mir Sorgen um sie mache?
    Deanetta Knight lebte ein paar Kilometer außerhalb von Rayville in einem Haus aus der Jahrhundertwende, das wohl erst vor Kurzem renoviert und mit einem Anbau versehen worden war. Sie empfing Dante und Tessa auf der Veranda, bat sie, sich auszuweisen, und lud sie dann ein, ins Wohnzimmer zu kommen. Die alte Dame stützte sich schwer auf einen Gehstock, und sie bewegte sich langsam und unsicher. Tessa schätzte sie auf mindestens siebzig oder fünfundsiebzig.
    Deanetta sah zwischen Tessa und Dante hin und her. Ihre milchig braunen Augen fixierten sie, als wolle sie herausfinden, ob die beiden in ehrlicher Absicht gekommen waren. “Tug sagte, ich kann Ihnen vertrauen. Sie werden mich nicht mit in etwas hineinzerren, selbst wenn das, was ich Ihnen gleich sagen werde, Staub aufwirbelt?”
    “Das stimmt”, sagte Dante.
    “Schwören Sie es mir.” Deanetta sah Tessa an.
    “Wir schwören es. Nicht wahr, Dante?”, erklärte Tessa.
    Dante nickte.
    “Sie sind das Westbrook-Mädchen, nicht wahr?” Deanetta musterte Tessa von Kopf bis Fuß. “Ich habe Sie damals nicht von so nahe gesehen. Kaum war Ihr Daddy im Krankenhaus aufgetaucht, wurde eine private Krankenschwester in Ihrem Zimmer auf der Intensivstation postiert. So was gab's noch nie. Da wussten alle, dass Ihr Daddy ein wichtiger Mann ist.”
    “Mrs. Knight, ich dachte, Sie hätten damals beim Bestattungsinstitut Maitland gearbeitet?”, fragte Dante. “Woher wissen Sie, was im Krankenhaus geschah?”
    “Meine Schwester Flossie war Krankenpflegehelferin und arbeitete damals im Krankenhaus in der Nachtschicht. Sie ist vor fünf Jahren gestorben.” Deanetta seufzte schwer. “Flossie und ich haben viel darüber gesprochen, wissen Sie, aber in der Zeitung hat nie etwas über die Sache gestanden. Und Mr. Maitland hat alle gewarnt, die bei ihm beschäftigt waren, wir dürften nichts sagen. Also hielten wir den Mund. Wir wollten ja keinen Ärger.”
    “Tug sagte, Aaron Maitland nahm eine Autopsie an der Leiche einer jungen Frau vor, die an der Interstate 20 gefunden worden war. Er deutete an, es gäbe eine Verbindung zwischen dieser Frau und Tessa Westbrook. Können Sie uns mehr darüber sagen? Bezog sich Mr. Maitlands Warnung an seine Angestellten vielleicht darauf?”, fragte Dante.
    “Ja, es gibt eine Verbindung.” Deanetta sah wieder Tessa an. “Denn es gab zwei junge Frauen, beide blond, beide vergewaltigt und im Straßengraben entsorgt. Beiden Frauen hatte man dasselbe angetan. Schrecklich, wirklich schrecklich.”
    Tessas Herz setzte für einen Moment aus. Ungläubig sah sie zu Dante hinüber. Er saß da, reglos wie eine Statue, mit versteinerter Miene. Doch sie wusste, was er in diesem Moment dachte.

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