Das Gesicht der Anderen
Fort Knox! Ich muss eine Möglichkeit finden, mit ihr allein zu sein. Ein paar Minuten würden schon reichen. Und ich lasse alles nach Selbstmord aussehen. Natürlich bin ich dann über den Tod der Kleinen völlig am Boden zerstört, völlig verzweifelt. Und keiner wird auch nur im Entferntesten auf die Idee kommen, ich könnte irgendetwas mit Leslie Annes Tod zu tun haben.
“Das Päckchen, das Leslie Anne erhielt, wurde hier in Fairport abgeschickt”, erklärte Vic Dante. “Mit der ganz normalen Post; Datum und Ort sind auf dem Poststempel erkennbar. Lucie hat den Umschlag, die Zeitungsausschnitte und den Brief auf Fingerabdrücke untersuchen lassen. Verwertbare Spuren wurden nur von einer Person gefunden. Sie haben sich, wie erwartet, als die von Leslie Anne herausgestellt. Andere, verschwommene Fingerabdrücke wurden zwar auch sichergestellt, sie stammen aber vermutlich von Postangestellten. Unser mysteriöser Absender war zu schlau, um derart plumpe Spuren zu hinterlassen.”
“Okay. Das Päckchen wurde also von hier versandt”, fasste Dante zusammen. “Was nicht automatisch bedeutet, dass der Absender auch aus Fairport kommt. Er könnte das Päckchen von hier verschickt haben, um eine falsche Spur zu legen.”
“Ich denke trotzdem, er kommt von hier”, sagte Dom. “Vermutlich ist es sogar jemand aus dem näheren Umfeld der Familie. Die Person hat nicht versucht, Tessa oder G. W. zu erpressen – es ging ihm also nicht um schnelles Geld. Die Person, die das Paket geschickt hat und wohl auch anrief, hat nur ein Ziel: die Familie Westbrook zu zerstören.”
“Wer hätte Grund, die Familie so sehr zu hassen?”
“G. W. hat sich im Laufe der Jahre geschäftlich einige Feinde gemacht”, sagte Vic. “Wir haben aber jeden überprüft, der G. W. jemals persönlich bedroht hat, und es kam nichts dabei heraus. Daher denke ich, wir haben es mit jemandem zu tun, dem ein persönlicher Vorteil daraus erwächst, wenn die Familie zerbricht. Irgendjemand, der davon profitieren würde, wenn die Westbrooks einen Schaden erleiden.”
“G. W. ist ein sehr wohlhabender Mann.” Dom Shea öffnete eine Aktentasche, die auf dem Mahagonischreibtisch lag, und entnahm ihr einen Ordner, den er Dante reichte. “Ziemlich viele Menschen sind auf seine finanzielle Unterstützung angewiesen. Wir haben alle diese Personen überprüft, woraus sich keine besonderen Hinweise ergaben. Außer der Tatsache, dass einige von ihnen nicht gerade den besten Ruf haben.”
“Ich brauche eine kurze Info über jeden von ihnen”, sagte Dante. “Tessa und Leslie Anne natürlich ausgenommen.”
“Klar”, sagte Dom. “Da wäre zuerst Sharon Westbrook, G. W.s einzige Schwester. Sie selbst besitzt keinen Cent. Ihr Bruder unterstützt sie schon zeit seines Lebens mit einer sehr großzügigen Apanage.”
“
Wie
großzügig?”, fragte Dante.
“Einhundertfünfzigtausend im Jahr plus Geld für Kleidung.” Dom spielte mit dem Ordner. “Diese Sharon ist ein echter Freigeist. In den 60er-Jahren war sie ein Hippie – ihr wisst schon: Sex, Drugs und Rock 'n' Roll. Sie wechselt die Männer wie andere Leute ihre Unterwäsche. Angeblich steht sie auf jüngere. Auf Tad Sizemore im Speziellen.”
Dante rollte mit den Augen. “Interessant, aber kein Motiv. Außerdem scheint sie ihre Familie ja sehr zu mögen.”
“Als Nächstes wäre da Myrle Poole. G. W. unterstützt seine Schwägerin mit derselben Summe wie seine Schwester. Mrs. Poole ist verwitwet, und ihr Mann, ein Spieler, hinterließ seiner Frau und seiner Tochter bei seinem Tod vor zwanzig Jahren keinen Cent. Myrle zählt aber zur High Society von Fairport, weil sie eine Leslie ist. Ihr Leben scheint überwiegend aus gesellschaftlichen Verpflichtungen zu bestehen.”
“Und was ist mit G. W.s Nichte Celia?”
“Sie war zweimal verheiratet und ist zweimal geschieden. Von ihrem zweiten Mann bekommt sie Alimente, aber von ihrem Onkel nichts.”
“Hmm …” Viele Fakten, dachte Dante, aber kein brauchbarer Hinweis bisher.
“Dann ist da noch sein Patensohn”, fuhr Vic fort. “Charlie Sentell. Er arbeitet für Westbrook, Inc. und bekommt dort ein Jahresgehalt von zweihunderttausend Dollar. Dieser Typ arbeitet wenigstens als Einziger für sein Geld. Aber angeblich ist er deutlich überbezahlt.”
Dom steckte den Ordner wieder zurück in die Aktentasche. “Bleibt noch G. W.s Partnerin, Olivia Sizemore. G. W. hat ihr ein sehr attraktives Haus in Uferlage geschenkt, unterstützt sie
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