Das Gesicht der Anderen
monatlich mit fünftausend Dollar und macht ihr großzügige Geschenke, Kleidung und Schmuck vor allem. Natürlich sorgt die liebe Mami dafür, dass ihr Sohnemann, Sonnyboy Tad, auch nicht zu kurz kommt. Seine Mom ist übrigens nicht die einzige ältere Dame, die ihm etwas zusteckt. Wie eben bereits erwähnt, soll Tad eine kleine Affäre mit Sharon Westbrook haben – die vom Alter her seine Mutter sein könnte.”
“Das alles beweist nur, dass G. W. ein äußerst großzügiger Mann ist, der eine hübsche Schar Schnorrer um sich versammelt hat.” Dante sah von Dom zu Vic. “Mehr haben wir nicht?”
“Das ist alles”, sagte Vic.
“Nichts, was irgendjemanden belastet”, stellte Dante frustriert fest. “Gibt es irgendwelche Theorien?”
“Vielleicht geht es gar nicht um Geld”, vermutete Vic. “Wahrscheinlich haben wir es mit einem viel persönlicheren Motiv zu tun. Aber das ändert nichts daran, dass wir nichts haben. Nichts, was uns in irgendeine Richtung führt.”
“Wir sollten uns vielleicht auch mal G. W.s Testament ansehen”, schlug Dante vor. “Geld kann auch ein persönliches Motiv sein. Wer wird außer Tessa und Leslie Anne bedacht? Vielleicht wurde der ganze Trubel nur inszeniert, damit der alte Mann einen Herzinfarkt bekommt und stirbt?”
“Könnte sein”, stimmte Vic zu. “Da hättest du deine Theorie. So weit waren Dom und ich noch nicht.”
“Was er verfügt hat, erfahren wir aber nur, wenn G. W. es uns selbst sagt”, gab Dom zu bedenken.
Ein drängendes Klopfen an der Tür der Bibliothek lenkte die Aufmerksamkeit der Agenten ab. Vic, der am nächsten zur Tür saß, sprang auf und öffnete. Draußen standen Lucie Evans und Sharon Westbrook.
“Sorry, wenn wir euch unterbrechen”, sagte Lucie und sah Dante an. “Ich habe die Anrufe erledigt und bekomme morgen früh Auskunft.”
Dante nickte.
“Ich habe Ms. Westbrook zufällig im Gang getroffen. Sie möchte wissen, ob wir auch hier übernachten werden und ob jemand von uns ein spätes Abendessen wünscht.”
“Sie können in der Küche essen oder Eustacia bitten, Ihnen ein Tablett in die Bibliothek zu bringen”, sagte Sharon.
“Hier ist alles im Lot”, sagte Dante und sah die anderen an. “Wir werden alle heute Nacht hierbleiben, aber wir brauchen keine vier Zimmer, da wir uns jeweils zu zweit in Schichten abwechseln werden.”
“Heute Abend haben wir volles Haus”, stellte Sharon fest. “Ich werde Eustacia anweisen, Ihnen ein Zimmer fertig zu machen. Und wenn Sie sonst noch etwas brauchen, fragen Sie einfach. Ich bin sehr froh darüber, dass Sie hier sind und uns in dieser schrecklichen Situation beistehen.”
Als Sharon sich schon anschickte zu gehen, rief Lucie: “Ms. Westbrook, darf ich Sie noch kurz etwas fragen?”
“Ja, natürlich.”
Lucie deutete auf das Porträtgemälde, das über dem Kamin in der Bibliothek hing. “Wer ist die hübsche junge Frau auf diesem Bild? Das interessiert mich schon die ganze Zeit. Ist das die verstorbene Mrs. Westbrook?”
“Nein, das ist nicht Anne.” Sharon betrachtete das Gemälde und seufzte. “Das Bild entstand, als Tessa siebzehn war, kurz bevor sie …” Sie schluckte. “Tessa sieht toll aus, keine Frage, aber sie war auch sehr schön, bevor sie sich diesen plastischen Operationen unterziehen musste. Sie hatte Annes Haarfarbe, aber damals sah sie wirklich aus wie ich. Eine Westbrook durch und durch.”
“Tessa ist plastisch operiert worden? Wann und warum?”
Lucie stellte genau die Fragen, die auch Dante auf der Zunge lagen.
“Sie musste sich mehreren kosmetischen Eingriffen unterziehen, weil ihr Gesicht so entstellt war”, sagte Sharon. “Dieser brutale Killer hatte sie wirklich furchtbar zugerichtet. Ihr Rücken ist bis heute voller Narben, weil er sie ausgepeitscht hat. Und ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert.”
In Dante kochte es. Er ballte die Fäuste. “Eddie Jay Nealy hat seinen Opfern nicht das Gesicht zertrümmert. Er schlug seine Opfer und peitschte sie aus, er schlitzte ihnen die Haut auf und brach ihnen den Schädel. Aber er vergriff sich nie an ihren Gesichtern.”
“In Tessas Fall offensichtlich schon”, widersprach Sharon. “Ich weiß noch, als Anne und ich sie danach zum ersten Mal sahen. G. W. hatte sie gerade wieder nach Fairport gebracht. Ihr Gesicht war komplett bandagiert, sie konnte nicht laufen, kaum sprechen und sie sah uns an, als hätte sie uns noch nie gesehen.” Tränen rannen Sharon übers
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